Man solle – so formuliert der Volksmund – das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. In seinem Text „Missverständnisse zum Bedingungslosen Grundeinkommen — ein Rant“  arbeitet Torsten Kleinz einige durchaus berechtigte Kritikpunkte an der BGE-Diskussion heraus, bleibt aber – selbst wenn man Rant-übliche Zuspitzungen abzieht – bemerkenswert einseitig in seiner Sicht der Dinge.

Ja, unter dem Label „Bedingungsloses Grundeinkommen“ werden die unterschiedlichsten Ansätze subsumiert, das macht die Diskussion durchaus unübersichtlich. Und ja, von den Menschheitsbeglückern, die einem das Schlaraffenland versprechen, bis zu den verkappten Neo-Liberalen, die damit en passant den Sozialstaat abschaffen wollen, ist da viel dabei. Aber es ist nicht sinnvoll, stets nur die Extremwerte zu betrachten: Es gibt nicht nur MLPD und NPD, es gibt nicht nur Obdachlose und Milliardäre, und es gibt auch nicht nur unsinnige Vorstellungen zum Grundeinkommen.

Bislang existieren nur „halbgare Modelle“ für ein Grundeinkommen, weil die Wirtschaftswissenschaften bis dato stets daran gescheitert sind, die Zukunft verlässlich zu modellieren. Welche Wirtschaftskrise (oder welche Hochkonjunkturphase) der letzten 100 Jahre konnte denn im Voraus berechnet werden? Wollen wir jetzt an Modelle zum Grundeinkommen strengere Maßstäbe anlegen? Und natürlich gibt es auch Modelle, die noch nicht mal „halbgar“ sind. Aber es finden sich auch Modelle wie „Sozialstaat 3.0„, die sich nicht daran versuchen, ein Bedingungsloses Grundeinkommen „in finaler Ausbaustufe“ zu prognostizieren, sondern lediglich der Einstieg sind in ein Grundeinkommen, mit Brutto-Netto-Verläufen nahe am Status quo, mit kompensatorischen Elementen für alles, was vom Status quo abweicht, und mit ausreichend Reserve für die Modellungenauigkeiten.

Es ist ja durchaus etwas „billig“, ein konsumsteuerfinanziertes Grundeinkommen zu verwerfen und daraus den Schluss zu ziehen, jede Idee eines Grundeinkommens sei ein „dystopischer Albtraum“. Niemand, der mal durchkalkuliert hat, wo denn die Steuersätze bei einem Konsumsteuermodell liegen werden, wenn erst mal die Erwerbsquote auf 20% oder gar 10% zurückgeht, vertritt noch ernsthaft ein reines Konsumsteuermodell – da müssen die anderen (durchaus berechtigten) Kritikpunkte gar nicht erst ausgepackt werden. Wenn nachgewiesen werden soll, dass das Grundeinkommen nichts taugt, dann ist nicht der schlechteste, sondern der beste Vorschlag dazu zu widerlegen.

Zuzustimmen ist dem Autor bei der Erkenntnis, dass all die derzeit gemachten „Versuche“ keinen nennenswerten Erkenntnisgewinn bringen werden. Ein Grundeinkommen wird nicht an der Auszahlungslogistik scheitern und es sind auch keine nennenswerten Nachteile zu befürchten, wenn Menschen (und hier auch nur in bescheidenem Umfang) mehr Geld haben werden. Dass Menschen mit hohem Einkommen im statistischen Mittel eine längere Lebenserwartung haben, ist längst und mehrfach nachgewiesen, ein Schaden durch die Auszahlung eines Grundeinkommens war niemals ernsthaft zu befürchten. Es bleibt einzig die Frage der Finanzierung.

Ja, „wenn ihr gegen Hartz-IV-Sanktionen seid, dann sagt nicht: Ich bin für ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Sagt, dass ihr gegen Hartz-IV-Sanktionen seid.“ Aber auch „wenn ihr gegen unseriöse Grundeinkommensmodelle seid, sagt nicht: Ich bin gegen ein Grundeinkommen. Sagt, dass ihr gegen unseriöse Grundeinkommensmodelle seid.“

Das Problem sind nicht nur die Hartz-IV-Sanktionen. Das Problem beginnt bei einem Steuer- und Sozialsystem, das bei dem Versuch, Einzelfallgerechtigkeit herzustellen, derart kompliziert geworden ist, dass keiner mehr vollständig durchblickt und dass dies immer mal wieder zu Ergebnissen führt, die weder gewollt noch vorhergesehen waren. Dieses System ist keine brauchbare Basis für die Weiterentwicklungen, die in den nächsten Jahrzehnten vorzunehmen sind. Das geht weiter, weil grundlegende Mechanismen des Arbeitsmarktes bei der Konzeption von ALG2 nicht berücksichtigt wurden. Es hört nicht auf dabei, dass wir ein Steuer- und Sozialsystem „aus einem Guss“ brauchen, weil sonst laufend konträr wirkende Maßnahmen ergriffen werden; z.B. Frühverrentung, um Jugendarbeitslosigkeit zu senken – danach Erhöhung des Renteneintrittsalters, um die Beiträge zu stabilisieren.

Dann sollten wir auch irgendwann zur Kenntnis nehmen, dass bereits jetzt etwa die Hälfte der Beschäftigten bei konsequentem Einsatz der schon zur Einsatzreife entwickelten technischen Möglichkeiten ersetzbar wäre. Dass nicht bereits jetzt „die Hütte brennt“ liegt nur an der Trägheit bei der Einführung und natürlich auch daran, dass Deutschland durch den schwachen Euro einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil hat – sonst wäre die Arbeitslosenquote inzwischen deutlich höher, als sie, bei ehrlicher Berechnung, ohnehin schon ist. Wenn wir diese Entwicklung konsequent zu Ende denken – wie will man den sozialen Frieden sichern, wenn wir Erwerbsquoten von nur noch 20% haben werden?

Natürlich ist auch ein Grundeinkommen nie alternativlos. Aber es ist nicht aus der Warte einer Volkswirtschaft in Hochkonjunktur und mit freundlichen Arbeitsmarktzahlen zu bewerten, sondern aus der Warte einer Entwicklung, die sich längst klar abzeichnet. Da sind dann die Vor- und Nachteile der einzelnen Alternativen ehrlich zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Inwieweit pointierte Zuspitzungen diesem Prozess dienlich sein werden, wird sich zeigen – ich bleibe da eher skeptisch.