Die Debatte, wie weit man sich politisch engagieren soll, ist sicher heutzutage eine zentrale Frage. Gerade in Zeiten, in denen die AfD und ihre Parolen auch durch das Verhalten und die Aussagen des US Präsidenten Trump an Zustimmung gewinnen, lässt einen fragen, ob die längst überwundenen „dunklen Zeiten“ wieder dabei sind, die Oberhand zu gewinnen.

Die Bundesregierung hat den „Verein“, welcher die Internetseite „LINKSUNTEN.INDYMEDIA.ORG“ betreibt, verboten. In einigen Kreisen führte das zu Kopfschütteln und bei manchen sogar zu einem Aufschrei. Die WELT, die man nicht gerade verdächtigen kann, mit Linksradikalen zu sympathisieren, beschreibt in einem Kommentar den Fall treffend:

„linksunten.indymedia.org“ hat die Autonomen und ihren Aktionismus vorbildlich dokumentiert: Den Stolz darauf, hier ein Auto angezündet zu haben oder ein portugiesisches Restaurant in der Schanze besetzt zu haben, dort gegen die Gentrifizierung agiert zu haben. Auch nach den G-20-Ausschreitungen fanden auf dieser nun verbotenen Homepage die Diskussionen um den revolutionären Charakter dieser Aktionen statt. Erfreulich: in den Kommentarspalten mussten sich die Aktivisten mitunter böse Prügel von Kommunisten, Trotzkisten und Anarchisten abholen für die Schlichtheit ihrer Überlegungen und die geradezu grotesken Pointen ihrer Aktionen. Für Interessierte und Ethnologen der radikalen Linken war diese Seite ein Geschenk. Für alle zugänglich: Nirgendwo wurde die radikale Linke so entzaubert und demystifiziert wie hier.“

Kontextanalyse

Die radikale und extremistische Linke sieht sich als (vermeintliche) Avantgarde und lebt doch in einer Parallelwelt, die mit der Realität und dem, wie die meisten Deutschen Politik verstehen und begreifen, nichts zu tun hat. Gerade die Ablehnung des Mehrheitskonsens und die Betrachtung der Demokratie allein als Mittel zum Zweck spricht dafür. Gleichzeitig beanspruchen die radikalen Linken für sich, im Besitz der einzig gültigen Wahrheit zu sein. Darin ähneln sie den Rechtsextremen, die ebenfalls von sich behaupten „die Mehrheit des Volks zu vertreten“.

Dennoch sind viele der Akteure, die bei Linksunten.Indymedia.org agieren, eher „Salon-Revoluzzer“, die aus der Leere ihrer bürgerlichen Existenz meinen, mit linken Träumereien ihrem Leben einen Sinn geben zu müssen. In ihren Methoden sind sie dabei nicht zimperlich – wenn andere durch ihre Aktionen zu Schaden kommen, nehmen sie das billigend in Kauf.
Sie bewegen sich in einem Milieu, welches sich vor allem in der Linkspartei wiederfindet und das diese Taten gutheißt.

Die alten Mythen, dass das vermeintlich Linke und Revolutionäre einfache Antworten auf komplexe Fragen liefert, sind für viele Millenials attraktiv; insbesondere für all diejenigen, die mit den anderen, noch einfacheren Antworten der Rechten nichts anfangen können bzw. sie aus „ganzem Herzen“ verabscheuen. Dies ist u.a. den Bildungsreformen an deutschen Schulen und Universitäten geschuldet. Schüler und Studenten lernen heute vorwiegend auswendig, ohne das Gelernte kritisch zu reflektieren. Es geht oft nur darum, das „Wissen“ zur Klausur wieder „auszukotzen“. Faktenwissen gilt als wachstumsfördernd, Wissen um die Zusammenhänge oder gar die eigene Interpretation von Entscheidungen oder das Hinterfragen der Auswirkungen dieser Entscheidungen für andere sind hingegen eher schädlich für die Ökonomie. Was liegt dann näher als der Wunsch nach einfachen Lösungen für komplizierte Fragen?

Wenn sich nun auch manche PIRATEN im Reflex, sich an die „Flügelkämpfe“ von vor drei Jahren erinnernd, nunmehr fragen, wieso der Bundesvorstand der PIRATEN sich zu Linksunten.Indymedia geäußert hat, nicht aber zu seinem rechtsextremen Pendant, dann ist diese Verwunderung nur ein Indiz der falschen Einordnung historischer und politischer Traditionen in diesem Land. Zudem wird übersehen, wie sehr in den letzten Monaten und Wochen immer mehr Gesetze und Maßnahmen durchgesetzt wurden, die zusammengenommen ein sehr beunruhigendes Bild ergeben. Daher war es sehr wichtig, sich zu dieser Frage zu äußern!

Natürlich hat der Staat das Recht und die Pflicht, Artikel oder im schlimmsten Fall auch eine ganze Online-Plattform, die gegen Gesetze verstößt zu verbieten. Dennoch gehört es zum Selbstverändnis der PIRATEN zu schauen, ob dabei tatsächlich nach Recht und Gesetz gehandelt oder nur ein Vorwand für weitere Grundrechtseinschränkungen gesucht wurde. Aktuelle Erkenntnisse, die erste Informationen des BMI widerlegen, lassen starke Zweifel an der Rechtmäßigkeit an der gesamten Maßnahme aufkommen.
Die gleiche Vorsicht und die Notwendigkeit, Dinge infrage zu stellen, sollte man auch bei Verboten von konservativ bis rechten Plattformen zeigen. Denn offenbar waren diese bereits die Blaupause für das Vorgehen bei Linksunten: Bei den rechten Plattformen reichte der Vorwurf des Extremismus aus, um diese weitgehend widerspruchsfrei sperren zu lassen.
Der gleiche Vorwurf wurde dann auch hier ins Feld geführt.
Die generelle politische Erfahrung zeigt, dass sich ein solches Verhalten und eine solche Praxis schnell ausweiten und vieles in Visier nehmen können, nachdem sie erst einmal salonfähig geworden sind. Beispiele für Netzsperren und Verbote, die aus dem Ruder laufen, zuerst aber nur zur „Terrorbekämpfung“ genutzt werden sollten, kann man unter anderem in Großbritannien sehen.

Eine geschichtliche Einordnung

Wieso reagiert man auf Verbote von Seiten linker oder liberaler Plattformen schneller, als auf Verbote rechter und konservativer Plattformen?

Es ist schnell gesagt, dass man auf die „Verfolgung“ der Linken stets schneller und schriller reagiert, als dann, wenn rechte Seiten im Fokus stehen. Dies hat verschiedene Gründe, welche sowohl in unserer Geschichte als auch in den politischen Tradition unseres Landes verankert sind. Die Wurzeln reichen bis ins Kaiserreich und die Zeiten des Nationalsozialismus zurück. Was damals geschah, beeinfllusst unser Denken und Handeln auch noch im 21. Jahrhundert.

Bis 1945 und auch in den 1950iger Jahren wurde der „Hauptgegner“ immer bei der Linken verortet. Erst war die SPD der Feind, dann die KPD und andere linke Gruppen, obgleich diese aus heutiger Sicht teilweise durchaus akzeptable und wichtige Forderungen vertraten. Dennoch sah der konservative Staat das Wirken dieser Gruppen immer als Angriff auf Ordnung und Sicherheit an. Dabei gab es schon in der Weimarer Republik Allianzen zwischen Militär und konservativen Kreisen, welche durch den einseitigen Kampf gegen Links und die damit verbundene Blindheit gegenüber dem rechten Terror erst die Basis für die NS-Zeit und Hitlers „Machtergreifung“ bildeten; mit allen bekannten Folgen für Deutschland und die Welt. Die Verweigerung der Konservativen in der Nachkriegszeit, sich mit den Verbrechen der NS Zeit auseinander zu setzen und die allgemein, heute auch historisch belegte Kontinuität der bundesdeutschen Sicherheitsbehörden, ihr Personal auch unter aktiven Nazis zu rekrutieren, änderte nichts an der prinzipiellen Sichtweise, dass der Feind eher links zu suchen ist.

Die westdeutschen Linken und die 1968iger ließen mit ihrer Verklärung der DDR und anderer linker Diktaturen aber auf der anderen Seite auch keine Streiter für Freiheit und Demokratie entstehen.
Es war de facto wie in Weimar, wo Links und Rechts ihrem Wesen nach gleichermaßen die Freiheit und den Pluralismus der Demokratie ablehnten. Und doch hatten die Konservativen die Schalthebel des demokratischen Staates fest im Griff. Auch dank der Allierten sowie der Gerichte und der Presse, war man in der Lage, einen „Rückfall in die Barbarei“ zu verhindern. So wurde damals Willy Brandt (SPD) im Wahlkampf von Seiten der CDU seine Tätigkeit als Widerstandskämpfer gegen die NS-Diktatur als „Vaterlandsverrat“ vorgeworfen. Ein Fanal für den Versuch, in der Bundesrepublik erneut autoritäre Strukturen aufzubauen, war die Spiegel-Affäre, welche am Ende mit dem Rücktritt des verantwortlichen Verteidigungsministers Franz-Josef Strauss (CSU) endete.

Im Laufe der Zeit sollten die Konservativen sich mit der Demokratie „versöhnen“. Doch zeigte sich schon unter der Kanzlerschaft von Helmut Kohl, wie die CDU ein neues Feindbild aufbaute. In der Asyl-Debatte  der 1990iger Jahre war dies die Angst vor dem Fremden.
Erst Angela Merkel hat mit ihrer Haltung in der Flüchtlingskrise mit dem damaligen Verhalten der CDU gebrochen. Gerade dies lässt Teile der UNION mit der AfD liebäugeln. Diese Gruppen in der UNION suchen nach alten einfachen Weltbildern.

Vor allem dieses Verhalten der Konservativen zeigt, dass man lieber einen starken Staat und Kontrolle will. Natürlich würde die radikale Linke ähnlich handeln, doch sie ist de facto gesellschaftlich viel stärker isoliert als rechte und konservative Kräfte.

Die Gegenwart

Die Debatte um die G20-Ausschreitungen wurde von Seiten der Sicherheitsbehörden vor allem um die Randale der linken Extremisten geführt. So berichtete die BILD, wie wohl erhofft, von den Krawallen der Linken. Da die Sicherheitsbehörden jedoch geradezu wie in einem „Exzess“ agierten und sich viele Geschehnisse vor den Augen und Kameras der ganzen Welt abspielten, kam dieses einseitige Bild schnell ins Wanken. Selbst konservative Medien in Deutschland kritisierten das Verhalten der Sicherheitsbehörden und der verantwortlichen Politiker. So berichtete sogar der konservative FOCUS von Ungereimtheiten beim Polizeiverhalten während des G20-Gipfels.

Das Vorgehen gehen linksunten.indymedia.org wird von den PIRATEN daher auch und gerade im Kontext der allgemeinen Debatte um immer mehr Sicherheitsmaßnahmen gesehen, die zu immer mehr Überwachung und Einschränkung in unseren Grundrechten führen. Dabei geht es längst nicht mehr um effektive und sinnvolle Maßnahmen im Rahmen der Verfolgung von tatsächlichen Straftaten.

Fazit

Der Hamburger Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Jan Reinecke, kritisierte das Verbot der Internetplattform. Dies sei „mehr Wahlkampf-Symbolik als sinnvoller Kampf gegen Linksradikale“, zitierte ihn das Hamburger Abendblatt.

Gerade wenn durch Symbolpolitik unsinnige und uneffektive Maßnahmen durchgesetzt werden, müssen PIRATEN ihre Stimme erheben. Wenn aus Aktionismus und Wahlkampf-Getöse übereilt schlechte Entscheidungen fallen, die von vielen Experten kritisiert werden, können PIRATEN nicht schweigen.

Zuletzt sollte nicht unerwähnt bleiben, dass das Mittel, eine Online-Plattform aus dem Netz zu nehmen, indem man sie sperrt, untauglich ist. Es ist eine Sache von wenigen Minuten, bei einem anderem Hoster die selben Seiten neu einzurichten oder zu spiegeln. Dies wissen gerade wir Piraten sehr gut. Dass heutzutage noch immer Politiker unterwegs sind, die auf dieses unsinnige Mittel setzen, erstaunt uns.
Wenn auf einem Forum oder einem Board tatsächlich kriminelle Aktionen geplant oder Texte und Daten entgegen den Gesetzen veröffentlicht wurden, dann gilt auch hier: Löschen statt sperren.

Hat Herr de Maizière denn nichts gelernt in den letzten Jahren? Wird auch er als nächstes STOPP-Schilder vorschlagen?