Nach dem Abschuss des ukrainischen Passagierflugzeugs am 08. Januar durch die iranischen Revolutionsgarden hat sich die Lage im Iran verschärft. Auch die iranische Mittelschicht, bisher Faktor für die Resilienz und Stabilität des Status Quo im Iran, schließt sich nun den Protesten gegen die Regierung an. Die Erinnerungen an den Putsch von 1953, der Revolution von 1979 und die damit verbundene Angst hatte sie bislang abgehalten. Zusätzliche Dynamik entsteht durch die schwere Erkrankung des obersten iranischen Führers Ali Chamenei. Bereits Anfang 2019 wurde in Erwartung einer Abdankung des Revolutionsführers ein radikaler Politikwechsel im iranischen Fernsehen angekündigt. Man wollte tiefgreifende politische Reformen im Iran in Angriff nehmen. Laut Veröffentlichung von Depeschen US-amerikanischer Botschaften durch Wikileaks soll Chamenei an Leukämie erkrankt sein.

Weitgehende Reformen und ein Wechseln in der Führung bedrohen allerdings die ökonomische Macht der iranischen Revolutionsgarden. Diese konnten sich, begünstigt durch die Sanktionen und die schlechte wirtschaftliche Lage, zu einem Staat im Staate entwickeln. Hätte Donald Trump sich nach der Aufkündigung des Iran Deals zu einem „Regime Change“-Versuch entschlossen, hätte es den Rovolutiongarden eher genützt und sie hätten wohl auch nominell die Macht im Iran an sich ziehen können.

Der Druck von außen

Man kann zusammenfassen: Druck von außen stärkt das Regime. Dies zeigt auch die Entwicklung nach der Tötung des Generals der Quods Forces Qasem Soleimani durch einen Angriff der USA am 02. Januar und der Ankündigung bei einer asymmetrischen Vergeltung durch den Iran, 53 wichtige und historische Stätten im Iran anzugreifen. Dies führte dazu, dass sich viele Iraner, bedingt durch die starke Verbindung zu ihrer Geschichte und Kultur, zunächst hinter der Regierung versammelten. Das Regime versuchte, den Angriff auf Quasem Soleimani und die Inszenierung des Trauerzuges für sich zu nutzen. Insbesondere die Revolutionsgarden wollten sich durch die amerikanische „Unterstützung“ in eine stärkeren Position für den kommenden inneriranischen Machtkampf um den politischen Kurs des Landes bringen. Sie hofften, sich eine dominierende Rolle auch gegenüber der geistlichen Führung zu erkämpfen und die Politik des Landes nach dem Tod von Chamenei zu bestimmen.
Durch den versehentlichen Abschuss des Fluges 752 von Ukraine International Airlines als Folge der von den iranischen Revolutionsgarden angekündigten Vergeltung wandelte sich die öffentliche Stimmung im Land schlagartig.

Die Proteste

Der Abschuss und die aktuellen Proteste im Iran sind nun für die iranische Regierung ein Problem. Sie sieht sich innen- und außenpolitisch geschwächt, was eine Gefahr für die Region darstellt. Sollte sich die Situation fortsetzen und der Iran analog zu anderen Staaten in diesem Gebiet, durch eine Eskalation der Lage in einen Bürgerkrieg oder zumindest eine längere Phase der politischen Instabilität abgleiten, wäre das für die Region eine Katastrophe. Die Großmächte, wie auch die Menschen im Iran selbst, sind an einem Abgleiten des Irans in eine unkontrollierte Revolution nicht interessiert. Man möchte eine weitere Destabilisierung der Region und deren Konsequenzen für alle in einem schon instabilen Nahen Osten verhindern.
Da eine Einmischung von außen immer zu einer Stärkung des Regimes im Iran führt, waren die Reaktionen der US Regierung wie auch der Israelis entsprechend zurückhaltend. Aufgrund der historischen Erfahrungen der Iraner mit dem Putsch der CIA 1953 gegen die gewählte iranische Regierung versuchte man möglichst den Eindruck zu vermeiden, man wäre involviert, damit die Proteste von der iranischen Regierung nicht als vom Ausland gesteuert gebrandmarkt werden konnten.

Trotz dieser Erfahrungen wird es am Ende zu einem Regimewechsel und einer Transition der Macht im Iran kommen. Ein politischer Wechsel im Iran würde der politischen Tradition des Landes entsprechen. Spätestens seit der Safawiden Dynastie, welche von 1501-1736 regierte und den modernen Iran begründete, wurden die verschiedenen Machtgruppen im Land in die Herrschaft einbezogen. Es kam immer zu einem Ausgleich und einer Balance der verschiedenen Interessensgruppen im Land sowie deren Machtzentren. Schaffte dies eine Regierung nicht, wie zuletzt beim Schah im Vorfeld der Revolution von 1979, war ein Ende der Regierung besiegelt.

Der Wechsel

Im Iran gibt es einen starken Bezug zur eigenen Kultur und historischen Größe. Der iranische Nationalismus ist deshalb auch während der islamischen Republik nicht verschwunden. Ebenso sind die historischen geopolitischen Grenzen und Probleme des Irans, welche es auch schon zu Zeiten des Schah gab, immer noch gegeben.
Dass Ali Chamenei seinen potentiellen politischen Nachfolgern mitgab, im Fall der Fälle die Alliierten, mit denen man seit jeher gemeinsame Interessen teilt, weiterhin zu unterstützen, wird dafür sorgen, dass der Iran seine Außenpolitik nur wenig verändern wird, denn die außenpolitischen Herausforderungen des Irans sind, egal welche Regierung im Iran ist, immer dieselben. Ein Beispiel ist der Grenzstreit mit dem Irak, der, nachdem er zu Zeiten des Schah gelöst schien, direkt nach der Revolution von 1979 zu einem Krieg zwischen beiden Staaten von 1980-1988 führte.
Die Narben dieses Krieges sind in der iranischen Gesellschaft, egal welcher politischen Ausrichtung man im Land anhängt, noch sehr lebendig.

Der Iran und Israel hatten zu Zeiten des Schah und seiner nationalistischen Agenda eine sehr enge politische und sicherheitspolitische Beziehung. Auch sind Iraner und Israelis in ihrer langen gemeinsamen Geschichte immer als Partner aufgetreten. Der Schah hatte zur NS-Zeit starke Aversionen gegen die Nazis und der iranische Nationalismus hat eine eher starke Gegnerschaft zu den antiiranischen Nachbarn, während ihm der Antisemitismus historisch fremd ist.

Ein politischer Wechsel im Iran würde wahrscheinlich die sicherheitspolitischen Handlungsmöglichkeiten erweitern. Der Iran könnte seinen durch den im syrischen Bürgerkrieg gewonnenen Einfluss nutzen und sich mit den erweiterten geostrategischen Möglichkeiten sowie dem Wegbrechen der alten Konflikte ganz anders aufstellen.
Bei einem sich abzeichnenden Wechsel der iranischen Führung, hin zu einer nationalistisch geprägten Ausrichtung, würde es auch wieder eine engere Kooperation zwischen den schiitisch dominierten Kräften und Israel geben. Diese würden sich einer von Saudi-Arabien geführten Allianz gegenübersehen sowie einer Türkei unter Erdogan mit dessen Ambitionen im Mittelmeer, welche gegen Israel aber auch Griechenland gerichtet sind.