Wiederholt protestierten Landwirte in den vergangenen Wochen gegen Preisdumping, indem sie Verteillager großer Discounter blockierten, zuletzt insbesondere wegen einseitig durchgesetzter Senkung der Butterpreise. Erst nach konkreten Zugeständnissen aus den Chefetagen von Aldi, Lidl und Co. wollten sie das Feld – beziehungsweise die Zufahrtstraßen der Verteillager – räumen. Können wir nun hoffen, dass die Mächtigen im Markt Verantwortung übernehmen? Insbesondere die vier großen Konzerne EDEKA (mit Netto), REWE (mit Penny) , Aldi (Nord und Süd) und die Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland), die zusammen über 85 Prozent des Marktes auf sich vereinen? Nehmen sie endlich Abschied von ihrer Niedrig-Preis-Politik? Anscheinend nicht. So spielen Manche die Erzeuger gegeneinander aus, indem sie sonst gleiche Produkte verschiedener Erzeuger direkt nebeneinaner zu verschiedenen Preisen auslegen – um dann auf den Kundenwunsch nach günstiger Ware verweisen zu können. Aldi, nachdem das Unternehmen nach der Jahreswende wieder aus den Schlagzeilen verschwunden war, verweist auf die Verantwortung der Molkereien als Verarbeiter.
Haben Kunden aber wirklich eine Wahl?
„Ein erster Schritt im Sinne regionaler Produzenten muss jetzt sein, zu konkreteren Produktkennzeichnungen zu verplichten ”,
so Annette Berndt, Themenbeauftragte für Landwirtschaft inder Piratenpartei Deutschland.
“Wenn ich momentan regionale Produkte kaufen möchte, finde ich zum Beispiel nur den Hinweis ‘hergestellt für’. Oder eine – sinnbefreite – Kennzeichnung wie ‘EU’ / ‘Nicht-EU’ hinter einem Biosiegel.”
Berndt findet relevante Vorschläge in einer ministerialen Pressemitteilung aus Niedersachsen zu dem Thema, kritisiert darin aber das Fehlen von Konzepten zur Preisgestaltung:
“Das Thema kostendeckender Erzeugerpreise kommt viel zu kurz.”
Initiativen zur Preisgestaltung wie ‘Ein Herz für Erzeuger’, bei dem Kunden einen freiwilligen Aufpreis bezahlen, der an die Erzeuger durchgereicht wird, sieht Berndt fehlgeleitet. “Damit werden Landwirte zu hilfsbedürftigen Bittstellern erklärt und das ist Demütigung, das Gegenteil von Wertschätzung.” Positiver sind Konzepte wie ‘Fairtrade’, ins Leben gerufen für Landwirte des Globalen Südens, um diesen ein würde- und respektvolles Modell zur Kostendeckung, mit langfristigen Verträgen und Verlässlichkeit, zu gewährleisten.
Diese Würde haben auch die Landwirte in Deutschland und der EU verdient.
Auf Europäischer Ebene ist man sich in der Tat vieler Missstände im landwirtschaftlichen Bereich bewusst. Bis zum Mai diesen Jahres soll in Deutschland die Richtlinie 2019/633 über unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette – kurz: UTP-Richtlinie – in nationales Recht überführt werden. Sie wurde im April 2019 vom Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union erlassen, und die Liste geforderter Verbote gibt tiefen Einblick, was hierzulande an unfairen Praktiken anzutreffen, und daher ausdrücklich zu verbieten ist. Es ist natürlich höchste Zeit, dass diese Richtlinie umgesetzt wird – noch immer aber beinhaltet sie keine Forderung nach kostendeckenden Erzeugerpreisen.
Auch im sogenannten „Niedersächsischen Weg“ zur Vereinbarung von Gewässer- und Artenschutz mit landwirtschaftlicher Nutzung wäre eine Regelung zur Preisgestaltung sinnvoll gewesen, kommt aber nicht vor. Dabei sind kostendeckende Erzeugerpreise – natürlich in Kombination mit Instrumenten der Mengenregulierung – das Fundament einer nachhaltigen Landwirtschaft, die ihre Region krisenfest versorgen kann. Dort eingepreist gehören die Bemühungen zum Tierwohl, Arten- und Gewässerschutz. Das wäre wirklich ein Neuanfang.
Verzicht üben müsste aber die exportorientierte Nahrungsmittelindustrie, sie wird nicht mehr die bisher gewohnten Überschüsse als Rohmaterial für ihre Weiterverarbeitung erhalten. Kein Wunder also, dass sich niemand an eine grundlegende Reform herantraut. Aber diesen Punkt werden die Landwirte auch noch identifizieren und an empfindlicher Stelle dagegen protestieren.