Dass ich das Universitäts- und Forschungszentrum in Garching [1], ganz in der Nähe von München, besuchen konnte, verdanke ich einem Kollegen von der deutschen Piratenpartei, der dies für mich organisierte.
Beitrag von Mikuláš Peksa, Piratenpartei Tschechien, Mitglied des Europäischen Parlamentes (MdEP), studierter Biophysiker [2,3].
Zu meiner ganz besonderen Freude konnte ich dort auch einige meiner ehemaligen Kommilitonen von der Fakultät für Mathematik und Physik treffen, die sich dort aufhielten bzw. aktuell dort tätig sind. Zudem pflegen die Universität und die Akademie der Wissenschaften eine langjährige Zusammenarbeit mit lokalen Institutionen. Dieses Projekt ist ein ausgezeichnetes Beispiel für erfolgreiche europäische Zusammenarbeit – hier arbeiten Tschechen, Slowaken, Franzosen, Finnen und Menschen weiterer Nationalitäten zum gemeinsamen Nutzen zusammen.
Mein erstes Ziel war das nicht nur für den Betrieb des ASDEX Upgrade (Tokamak-Typ), eine der größten deutschen Versuchsanlagen zur Entwicklung von Fusionsreaktoren, bekannte Max-Planck-Institut für Plasmaphysik. Als Kernfusion bezeichnet man einen Prozess, bei dem durch die Verschmelzung von Atomkernen Energie freigesetzt wird. Am leichtesten geht dies – nach heutigem Stand der Wissenschaft – mit den beiden Wasserstoffisotopen Deuterium und Tritium. Die EU (co-)finanziert diese Forschung, weil davon ausgegangen wird, dass die Kernfusion in Zukunft als nahezu unerschöpfliche und sichere Energiequelle dienen könnte. Anders als bei der Kernspaltung (die in traditionellen Kernreaktoren verwendet wird), erzeugt sie im Wesentlichen keinen Atommüll. Selbst die direkte Zerstörung eines Fusionsreaktors würde nicht viel mehr Schaden anrichten als das Zerbrechen einer großen Plasmalampe.
Die Schwierigkeit besteht darin, einen solchen Reaktor zu bauen. Das Plasma muss komprimiert und auf eine Temperatur von Hunderten von Millionen Grad erhitzt werden, damit die Reaktion ablaufen kann. Zudem muss es ausreichend lange in diesem Zustand gehalten werden – was nur über ein Magnetfeld erreicht werden kann, denn kein Material der Welt würde dem Kontakt damit standhalten. Mit den Turbulenzen, also in einem solchen Plasma induzierten Strömungen, und den damit verbundenen Magnetfeldern befasst sich ein spezielles Teilgebiet der Physik – die Magnetohydrodynamik. Neben dem Verständnis ihrer Gesetzmäßigkeiten erfordert die Beherrschung der Kernfusion auch die Entwicklung hochbeständiger Materialien für die Reaktorkammer, eine supraleitende Spule sowie leistungsstarke Kühl- und Plasmaheizgeräte.
Aktuell können wir heißes Plasma einige Zehntel Minuten lang halten. Das ist eine hervorragende Leistung, reicht aber bei Weitem (noch) nicht für eine kommerzielle Nutzung der Kernfusion. Daher wird in Frankreich der viel größere, internationale Tokamak ITER gebaut. Das ist das zweitgrößte internationale wissenschaftliche Projekt aller Zeiten (nach der ISS), etwa zur Hälfte von der EU finanziert. Dort soll 2025 das erste Plasma gezündet werden. Wenngleich der ITER voraussichtlich etwa zehnmal mehr Energie produzieren kann, als zum Heizen des Plasmas selbst benötigt wird, besteht das Hauptziel darin, die zum Betrieb eines Fusionsreaktors erforderlichen Technologien zu entwickeln und zu testen.
Im Europäischen Parlament ist der ITER immer wieder einmal Gegenstand teils heftiger Diskussionen – die zu erwartenden Kosten sind mit etwa der Hälfte des Staatshaushalts der Tschechischen Republik vergleichbar, was einigen Kollegen doch recht viel erscheint. Dennoch halte ich dieses Projekt für sinnvoll und verteidige es entsprechend – dieses für europäische Forschung und Entwicklung im modernsten Segment der europäischen Industrie ausgegebene Geld schafft jenes Know-How, das Europa im Technologiebereich eine führende Position verschafft.
Der zweite Ort, den ich besuchte, war das Walther-Meißner-Institut für Tieftemperaturforschung. Da ich selbst am Institut für Tieftemperaturphysik studiert hatte, war mir der Name des Entdeckers der Magnetfeldabschirmung in Supraleitern nicht unbekannt. Nach dem Krieg baute er eine der größten Arbeitsstätten für das Studium der Tieftemperaturphysik auf. Heute befindet sich hier eines der Zentren der Quantencomputer-Entwicklung.
Sehr vereinfacht ausgedrückt verwenden Quantencomputer – im Gegensatz zu klassischen Computern, die „nur 0 und 1 kennen“ (1 Bit) –, alle Werte dazwischen (1 Qubit). Die gesamte Mathematik rund herum ist (natürlich) etwas komplizierter, ermöglicht aber eine schnellere theoretische Lösung verschiedener Probleme, als dies ein klassischer Computer könnte. Letztere testen Möglichkeiten nämlich „nacheinander“. Quantencomputer arbeiten hingegen „alles auf einmal“ in einer Gesamtberechnung ab. Deshalb wird ihrer Erforschung – bei der es bspw. auch um Verschlüsselung geht – so viel Aufmerksamkeit geschenkt. Eine ganze Reihe von Technologien setzt sogar schon heute darauf, dass klassische Rechner bestimmte mathematische Probleme einfach nicht schnell genug lösen können – was aber für einen Quantencomputer theoretisch nicht mehr gelten würde.
Eines ist so gut wie sicher – mit einem Quantencomputer im Handtaschenformat ist in den nächsten Jahrzehnten eher nicht zu rechnen. Zur Erhaltung der Quanteneffekte, und zum Auslesen der Quantenzustände, muss ein Quantencomputer sehr gut von seiner Umgebung isoliert sein. Schon die geringste Temperaturschwankung, ionisierende Strahlung oder der Aufprall eines Moleküls kann die darin gespeicherte Information zerstören. Daher werden diese Systeme auf Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt, d. h. um die minus 270 °Celsius, gekühlt – sie werden also quasi von der Außenwelt evakuiert und isoliert. Zu ihrem Betrieb sind neben der speziellen Algebra, die ihre Funktionsweise beschreibt, auch Vakuumtechnik, Dünnschichtphysik, Kryotechnik und andere anspruchsvolle moderne Technologien und Disziplinen erforderlich.
Garching hat das Glück, über all dieses Know-how zu verfügen. Neben den an der Forschung beteiligten Physikern und Mathematikern gibt es Entwicklungswerkstätten, die eigene Versuchsanlagen herstellen. Und selbstverständlich wurde auch an den für derartige Projekte unerlässlichen Gründer-Inkubator gedacht. Wenn Sie also ein Unternehmen in diesem Bereich gründen möchten, kann es durchaus zweckmäßig für Sie sein, sich um Räumlichkeiten direkt neben der Forschungseinrichtung und die Bereitstellung von Startkapital für die Entwicklung ihrer Vorhaben zu bewerben. Ein weiterer wesentlicher Vorteil ist der direkte Kontakt zu den an diesem Standort arbeitenden Wissenschaftlern und Ingenieuren. Ehrlich gesagt bin ich der Ansicht, dass es viel vernünftiger ist, europäisches Geld in die Entwicklung solcher Technologieparks zu investieren, als in den Anbau von Raps als Bioenergiequelle und ähnlichem Unsinn zu stecken.
Bei der Debatte mit den Forscher:innen ging es natürlich auch um die „Hauptkonkurrenten“. Wie schon in der Diskussion über die Plasmaphysik kamen auch beim Thema Quantencomputer die USA und China (Russland nur am Rande) zur Sprache. Die Vereinigten Staaten spielen sicherlich bei der Entwicklung eine führende Rolle – allerdings übernahmen zuletzt private Unternehmen (wie google) große Teile der Entwicklung, und viele Forscher:innen kehren nach Europa zurück. China ist wiederum dafür bekannt, europäischen Forscher:innen Vorlesungen, gut bezahlte Stellen, Austauschmöglichkeiten usw. anzubieten, und auch dafür, dass unerwartet, quasi aus dem Nichts, ein Vertreter eines halbstaatlichen Unternehmens auftaucht und ein erfolgreiches europäisches Start-up kauft, das eine neue interessante Technologie entwickelt hat. Dazu kann es kommen, weil Europa zwar in Bezug auf die Qualität der wissenschaftlichen Ergebnisse Schritt hält, bei den Investitionen in die Entwicklung und den Erwerb neuer Technologien aber langsam ins Hintertreffen gerät.
Persönlich sehe ich in diesem ‚Nachhinken‘ eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die europäische Gesellschaft und ihre Werte. Und statt müßiger Debatten über Migration und traditionelle Familienformen sollten wir uns auf die Entwicklung von Technologien konzentrieren, denn sonst könnte der Zug bald ohne uns abfahren.
Quellen:
[1] www.forschung-garching.tum.de/startseite/
[3] www.europarl.europa.eu/meps/en/197539/MIKULAS_PEKSA/home