Dieser Beitrag des EU-Parlamentariers Mikuláš Peksa (Piratenpartei Tschechien) wurde zuerst auf auf dessen Homepage veröffentlicht, zu finden unter folgendem Link: https://mikulas-peksa.eu/ge/mikulas-peksa-der-green-deal-ist-heute-aktueller-denn-je-die-goldenen-zeiten-der-energie-oligarchen-sind-geschichte/
Die russische Invasion in der Ukraine veränderte von einem Tag auf den anderen die ganze Welt, was aber manche Politiker dennoch nicht davon abhält, nach wie vor ihr eigenes Süppchen zu kochen. Unter diesen ist auch der tschechische Ex-Premier Andrej Babiš zu finden, der erneut die Abschaffung der Emissionszertifikate fordert, so als wäre dies eine Lösung des Problems.
Bedauerlicherweise ist er nicht der einzige, dem der Zusammenhang zwischen dem Zustand unserer natürlichen Ressourcen, der Energiewirtschaft und der Sicherheitspolitik nicht ganz klar ist. Nun stellt sich die immer dringlichere Frage, wie wir aus der aktuellen Situation herauskommen.
Erstens: Mit dem Krieg in der Ukraine haben sich die bisherigen Probleme keineswegs auf wundersame Weise in Luft aufgelöst.
Während in Europa generell die Meinung vorherrscht, dass Putins Panzer nur zu deutlich zeigen, dass der wirtschaftliche und energie-technische Wandel schneller vonstattengehen muss, man nicht weiterhin von fossilen Brennstoffen abhängig sein darf, waren in Tschechien noch am Tag des Kriegsbeginns Stimmen zu hören, die siegessicher das „Ende des grünen Traumes“ forderten. Der Green Deal sei tot; die CO2-Neutralität werde zwar kommen, sogar noch strikter als ursprünglich geplant, aber nicht wegen irgendwelcher Klimaziele, sondern aus Gründen der nationalen Sicherheit und zur Gewährleistung des Überlebens der Menschheit.
Ich möchte niemandem zu nahe treten, aber die Verfasser dieser Stellungnahmen scheinen die Bevölkerung einfach nur für dumm zu halten. Sie wollen uns weismachen, dass es in der Welt keine Risiken gibt, bzw. dass uns diese erst dann interessieren müssen, wenn die Panzer direkt vor unseren Grenzen stehen. Dass rohe Gewalt und militärische Aggression in der Regel nur das letzte Stadium eines länger ungelösten Problems sind, wird dezent verschwiegen. Dabei stellen gerade die langfristig ungelösten Probleme die größten Bedrohungen für uns dar. Sie sind eine unerbittlich tickende Zeitbombe.
Natürlich steht der Klimawandel in engem Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit und dem Überleben der Menschheit! Immer mehr Ländern setzt er zu, bringt sie in diverse Notlagen – ob durch Wassermangel, zu hohe Temperaturen, Ernteausfälle, Überschwemmungen oder verheerende Stürme, ja sogar Orkane. Die Klimawandeldebatte dreht sich nicht darum, wie hoch der Meeresspiegel in dreißig Jahren sein wird. Es geht um die Zerstörung der Lebensbedingungen auf unserem Planeten und die daraus unweigerlich entstehenden humanitären und sicherheitspolitischen Herausforderungen in verschiedenen Teilen der Welt, die leicht zu großen Migrations- und Kriegswellen eskalieren können. Damit ist der Green Deal alles andere als ein naiver „grüner Traum“. Er ist eine ganz pragmatische Politik, getragen von dem Wunsch und der Hoffnung, eine weitere Zerstörung der Welt, die wir kennen, zu verhindern.
Zweitens: Das Hauptproblem ist nach wie vor unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, die wir mangels eigener Ressourcen importieren müssen.
In den letzten 20 Jahren stieg die Abhängigkeit Europas von Energieimporten um rund 5 % (von 56 % im Jahr 2000 auf 61 % im Jahr 2019). Dies ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen, unter anderem auf die versiegenden Gasquellen im niederländischen Groningen und in der Nordsee, dank derer Europa noch in den 1970er Jahren in Bezug auf Erdgas relativ autark war.
Dieses Gas ist jedoch nicht mehr verfügbar, während der Energieverbrauch in der EU (wie auch anderswo in der Welt) stetig steigt. So wurden wir in den letzten Jahren immer abhängiger vom Import diverser Energierohstoffe aus Ländern außerhalb der EU. Der Green Deal ist die Antwort auf dieses Problem. Einen anderen gemeinsamen europäischen Weg gibt es nicht. Das definierte Ziel ist die Verringerung der Abhängigkeit der europäischen Volkswirtschaften von allen fossilen Brennstoffen – insbesondere aber von Öl, Kohle und Gas – und deren Ersatz durch erneuerbare Ressourcen, die wir in Europa selbst produzieren bzw. nutzen können.
Die enge Verbindung zwischen dem Staat und der Energiewirtschaft ist nicht nur ein Problem für Gazprom. Lizenz | Alle Rechte vorbehalten. Eine Weiterverbreitung ist nur mit Zustimmung des Urhebers möglich. Quelle | Depositphotos
Drittens: Das Geschäft mit den fossilen Brennstoffen liegt fest in den Händen von Oligarchen, die wir nicht länger unterstützen wollen.
Der Green Deal ist zudem auch die Antwort auf ein weiteres großes Problem im internationalen Handel mit fossilen Brennstoffen, vor dem wir nicht länger die Augen verschließen können. Der Öl-, Gas- und Kohlehandel liegt fest in den Händen großer etablierter Unternehmen, die in der Regel eine sehr enge staatliche Anbindung haben. Wenn es sich dann um einen von Autokraten mit Großmachtambitionen geführten Staat handelt, kann das, wie sich in diesen Tagen zeigt, für Nachbarn und Handelspartner sehr schnell sehr ungemütlich werden.
Sehen Sie sich die Gesamtzahlen an. Das russische Finanzministerium hat für das Jahr 2021 Einnahmen aus Öl- und Gasverkäufen in Höhe von 120 Mrd. USD gemeldet. Dabei verdoppelten sich allein bei Gazprom in der zweiten Jahreshälfte die Erträge aus dem Gasverkauf. Im Lichte der aktuellen Ereignisse sieht die Sache so aus: Russland erhöhte die Energiepreise für die Europäer und finanziert damit nun seinen Krieg.
Die enge Verflechtung von Staat und Energiewirtschaft ist aber nicht nur ein Problem für Unternehmen wie Gazprom, die in den letzten Jahren auf dem europäischen Markt nicht eben marktwirtschaftlich auftraten, sondern eher als Werkzeug zur Durchsetzung des Willens von Wladimir Putin. Wie ungesund die Überschneidung eigentümerseitiger Geschäftsinteressen bei fossilen Energieriesen und der staatlichen Politik sein kann, zeigt sich auch bei der Polnischen Energiegruppe PGE, einem staatlichen Bergbaukonzern in Polen. Staatliche Energieunternehmen können ihre Position leicht missbrauchen, demokratisch gewählte Regierungen unabhängiger Staaten unter Druck zu setzen und zu erpressen. In meinen Augen haben die Ereignisse der letzten Tage klar und deutlich gezeigt, dass dem ein Ende gesetzt werden muss.
Viertens: Russisches Gas lässt sich ersetzen. Billig wird das aber nicht.
Eine Umwandlung der staatlichen Gazprom in ein marktwirtschaftliches Unternehmen ist unrealistisch, jedenfalls solange Vladimir Putin die Geschicke des Landes lenkt. Somit müssen wir ohne Gazprom und russisches Gas insgesamt auskommen und innerhalb der nächsten Wochen und Monate andere Gaslieferanten bzw. gänzlich andere Energieformen und entsprechende Versorger finden.
Mehr als 40 % der Erdgasimporte in den europäischen Markt kommen aus Russland – bisher jedenfalls – und sie fließen durch die Jamal- und die ukrainischen Transitpipelines. Der jährliche Import aus Russland beläuft sich derzeit auf ca. 1550 TWh via pipelines und weiteren 120 TWh in Form von Flüssiggas (LNG). Das ist weniger als in den Vorjahren, und dieses Jahr sind die Speicher entsprechend besonders mager gefüllt.
Die restlichen rund 60 % der Importe kommen aus anderen Ländern und auf anderen Wegen zu uns nach Europa – über Pipelines aus dem Süden und Norden, sowie über LNG-Terminals, von denen sich die meisten in den südeuropäischen Ländern befinden. Die Abnahme aus diesen Gebieten kann erhöht werden. Theoretisch ermöglicht die dortige Kapazität eine Abnahmesteigerung um bis zu 1800 TWh, was in etwa der Menge entspricht, die derzeit aus Russland importiert wird. Flüssiggas können wir aus den skandinavischen Ländern, Australien, den USA oder Katar beziehen. Allerdings wissen wir derzeit nicht, wie viel und zu welchem Preis verfügbar sein wird. Mit günstigen Preisen ist aller Voraussicht nach nicht zu rechnen.
Fünftens: Zum Heizen wird das so verfügbare Gas allemal reichen
Unsere langfristige Energiebilanz kann der Ersatz der bisher aus Russland kommenden Gasimporte aus anderen Quellen allerdings nicht verbessern. Die derzeitigen Lieferungen aus Russland sind im Vergleich zu den Vorjahren minimal, und eine Deckung des gesamten Defizits ohne Verluste erscheint eher unwahrscheinlich. Es wird daher zu prüfen sein, ob sich Gas durch andere Energiequellen ersetzen oder der Energieverbrauch insgesamt senken lässt.
Gleichzeitig fließen nach wie vor fast zwei Drittel der europäischen Erdgasimporte wie gewohnt, weil sie nicht aus Russland kommen.
Lizenz | Alle Rechte vorbehalten. Eine Weiterverbreitung ist nur mit Zustimmung des Urhebers möglich.
Quelle | Depositphotos
Der Gasverbrauch ist in den europäischen Ländern sehr unterschiedlich (hier können Sie einzelne Länder auswählen). Es gibt Regionen wie die Niederlande, Rumänien oder Norditalien, in denen Gas häufig zur Stromerzeugung eingesetzt wird. In Tschechien spielt Erdgas im Zentralheizungsbereich eine entscheidende Rolle. Sieht man sich an, welche Sektoren Gas benötigen (hier – Grafik unten), so spielen Industrie, Stromerzeugung und Haushalte die größte Rolle, mit jeweils etwa gleich hohem Verbrauch, der sich in jedem dieser Sektoren auf rund 25-30 % beläuft.
Gleichzeitig fließen nach wie vor fast zwei Drittel der europäischen Erdgasimporte wie gewohnt, weil sie nicht aus Russland kommen. Hieraus ist eindeutig erkennbar, dass auch künftig niemand frieren muss, weil es in der EU kein Gas gibt. Sollten dennoch Einsparungen notwendig werden, so werden diese die Industrie treffen, was äußerst unangenehm wäre und jedenfalls vermieden werden sollte. Die Gefahr, dass das Gas für die Haushalte knapp werden könnte, besteht jedenfalls absolut nicht.
Sechstens: Langfristig führt nur ein sauberer Übergang aus Erpressbarkeit und Zerstörung heraus.
Natürlich ist auch das nur eine Übergangslösung. Und wie soll es weitergehen? Im Green Deal (bzw. der darauf aufbauenden Taxonomie) ist Gas als Übergangsbrennstoff vorgesehen, der bedarfsweise zum Ausgleich von Schwankungen im Energienetz (als Backup für erneuerbare Energien) genutzt werden kann. Es gibt zwei Möglichkeiten, diesbezüglich ohne Gas auszukommen. Man kann entweder das Erfordernis eines Backups durch effizientere Netzkapazitäten verringern und die Energie entsprechend dem tatsächlichen Bedarf zuteilen, was durch eine massive Digitalisierung des Übertragungsnetzes erreicht werden könnte (stellen Sie sich eine Abwandlung des Internets der Dinge (IoT) für das Energienetz vor).
Oder wir ziehen anstelle des Erdgases einen anderen Energierohstoff als Ausgleichselement heran. Hier bietet sich beispielsweise Wasserstoff an, der zudem den Vorteil hat, dass er aus einer Vielzahl von Primärquellen (Sonne, Wind, theoretisch auch Methan) gewonnen werden kann, die teilweise extrem preisgünstig sind (typischerweise Solarenergie aus Ländern, die Meere und viel Sonne haben). Zudem kann Wasserstoff auf ähnliche Weise wie Erdgas transportiert werden, entweder verflüssigt auf Tankern oder durch Pipelines. Damit ließe sich sogar die bestehende (modernisierte) Verteilungsinfrastruktur nutzen.
Wasserstoff, insbesondere aus erneuerbaren Quellen wie Sonne und Wind, hat einen weiteren Vorteil: Da er aus billigen erneuerbaren Quellen hergestellt werden kann, ist eine dezentralisierte Produktion möglich. Das Monopol auf die Kohle- und Erdgasförderung liegt historisch bei den staatlichen Giganten. Für alle anderen sind die Kosten für einen Einstieg in diese Branche exorbitant. Beim grünen Wasserstoff ist es genau umgekehrt. Die Einstiegskosten werden immer niedriger, und es ist fast unmöglich, Unternehmen am Markteintritt in diese Branche zu hindern.
Deshalb spricht eine aktuelle Studie der internationalen Agentur IRENA vom grünen Wasserstoff als dem ‚Missing Link‘ der Energiewende. Die Wasserstoff-Energiewirtschaft kommt ohne Gazprom und andere oligarchische Staatsbetriebe aus, sie benötigt lediglich eine gute Infrastruktur mit klaren Regeln. In einem Markt mit vielen kleinen und mittelgroßen Playern kommen wir auch nicht in die Situation, dass uns jemand erpressen bzw. durch Zudrehen des Hahns gefährden könnte.