Seit Tagen wird lautstark über das geplante EU Lieferkettengesetz gestritten. Im Zentrum der Kritik ist die FDP. Definitiv zutreffend ist in diesem Zusammenhang der Vorwurf, dass man jetzt, quasi im letzten Moment, die Richtlinie blockiert. Warum wurde nicht schon viel früher Kritik geübt?
Richtig ist aber, dass das Vorhaben der Richtlinie am Ziel weit vorbei geht. Da hilft auch nicht der Vergleich zum deutschen Lieferkettengesetz, denn da gibt es signifikante Unterschiede. Gemeinsam ist beiden aber, dass ein falscher grundsätzlicher Mechanismus verfolgt wird.
Zunächst mal zu den Unterschieden.
Die EU Richtlinie sieht eine Haftbarkeit vor, bei der Unternehmen verantwortlich sind für Verfehlungen in ihrer Lieferkette, egal wo und wann diese passieren. Im Gegensatz dazu fordert das deutsche Gesetz hier „nur“ Sorgfalt ein, bestraft wird nur, wer vorsätzlich seine Pflichten verletzt.
Dazu kommt, dass nach dem deutschen Gesetz die Einhaltung der Vorgaben vorausgesetzt werden kann, wenn der Vorlieferant aus einem „sicheren“ Land, also z.B.. innerhalb der EU stammt. Im Gegensatz dazu sieht die EU-Richtlinie auch nicht vor, bis zu welcher Tiefe die Lieferkette erfasst werden muss. Das führt bei komplexen technischen Produkten zu einer nicht lösbaren Aufgabe, da hier sehr viele Vorstufen beteiligt sein können.
Grundsätzlich falsch an beiden Gesetzen ist zunächst, dass hier ein pauschaler Ansatz gewählt wird, der alle Branchen gleichermaßen erfasst und nicht berücksichtigt, wie unterschiedlich die Strukturen der Lieferketten sind und wie unterschiedlich auch die potenziellen Probleme innerhalb der Lieferketten sind.
Als Beispiele von Branchen, die die Regeln begrüßen, werden gerne z.B. Textil, Kaffee, Kakao und ähnliche angeführt. Diese haben verhältnismäßig einfache und gut überprüfbare Lieferketten. Die Zahl der Verarbeitungsschritte ist übersichtlich und der Materialfluss innerhalb der ganzen Kette gut nachvollziehbar. Hier würden auch die in der EU heimischen Unternehmen profitieren, da es so einen effektiveren Schutz gegen Billiganbieter mit unsauberen Geschäftsmethoden gäbe.
Anders sieht es bei komplexen technischen Produkten aus. Hier haben oft einzelne Komponenten eine komplexere Lieferkette als in den zuvor genannten Branchen das ganze Unternehmen. Elektronische Bauteile, die in sehr vielen technischen Produkten eine zentrale Rolle spielen, bestehen aus sehr vielen Rohstoffen, die jeweils über diverse Verarbeitungsprozesse gehen, bevor daraus das eigentliche Bauteil wird und das wiederum ist dann nur eines von vielen, die in einem Produkt benötigt werden. Hier kommt schnell eine Lieferkette mit einigen 1000 Beteiligten zusammen.
Solcher Aufwand trifft besonders hart die kleinen und mittelständischen Unternehmen. Auch die vermeintliche Begrenzung auf größere Unternehmen hilft hier nicht, denn kleine Unternehmen sind oft in der Lieferkette von großen Unternehmen. Da aber nicht vorgesehen ist, dass ein großes Unternehmen mit der Erfassung seiner Lieferkette bei einem kleinen Lieferanten abbrechen kann, werden die kleinen ebenfalls gezwungen den Aufwand zu treiben, oder nicht mehr in der Lieferkette zu sein.
Praktische Erfahrungen mit den Bestimmungen zu Konfliktmineralien im Dodd-Frank Act haben gezeigt, dass solche Regelungen nicht umsetzbar sind. bzw. nichts bringen. Im Rahmen des Dodd-Frank Acts sind amerikanische, börsennotierte Unternehmen verpflichtet die Herkunft von Zinn, Gold, Tantal und Wolfram in ihrer Produktion zu dokumentieren. Ziel ist hier die Ausbeutung von Menschen im Bürgerkriegsgebiet des Kongo zu verhindern.
Auf den ersten Blick mag das als eine überschaubare Aufgabe erscheinen. Tatsächlich wird diese aber nur durch Deklarationen von Vorlieferanten umgesetzt. Also innerhalb der Lieferkette werden CMRT (Conflict Mineral Reporting Template) Formulare ausgetauscht, mit denen man versichert, dass keine verbotenen Rohstoffquellen benutzt werden. Ein Haufen Verwaltungsaufwand, ohne positiven Effekt, denn der illegale Abbau mit Sklavenarbeit findet im Kongo immer noch statt, es wird nur irgendwo auf dem Weg das richtige Formular ausgefüllt.
Der richtige Ansatz wäre es solche Probleme im Rahmen der Handelsabkommen anzugehen. Also den Ländern mit strukturellen Problemen Vorgaben zu machen, die bei der Erfüllung zu verbesserten Handelskonditionen führen.
Leider werden aber die Freihandelsabkommen immer wieder für das Gegenteil verwendet. Zwar gibt es blumige Versprechungen, dass die Standards angehoben werden sollen, tatsächlich wird das dann aber durch Klauseln für die „Investitionssicherheit“ und sehr häufig durch den Einsatz privater Schiedsgerichte ausgehebelt. Wenn ein Gesetz für besseren Umwelt- oder Arbeitsschutz verabschiedet werden soll, dann findet sich schnell ein Kläger, der vor das Schiedsgericht zieht.
Darum: Der richtige Weg ist es besser Handelsabkommen zu schließen und Lieferkettengesetze nur für spezifische Branchen zu schaffen, bei denen erstens ein signifikantes Problem besteht und zweitens Aussichten auf eine Umsetzbarkeit bestehen.
Das was momentan auf dem Tisch liegt hilft niemandem. Damit werden eher noch mehr kleine Unternehmen aus dem Markt gedrängt und die Konzentration auf Konzerne angefeuert.
Besser als Lieferketten Gesetze wäre auch eine Stärkung der Gewerkschaften. Davon redet die EU aber nicht und versucht nur das Problem von oben herab bürokratisch zu lösen.
Das wäre genau etwas, das in ein Handelsabkommen hinein gehört. Aber da macht man das Gegenteil: Man hebelt Standards aus.