Der Bundestag berät heute einen Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD zur Reform der „Bestandsdatenauskunft“, der Polizei, Geheimdiensten und weiteren Behörden weitreichend die Nachverfolgung der privaten Internetnutzung (Surfverhalten) und die Anforderung von Passwörtern zu Internetdiensten ermöglichen soll. Das Bundesverfassungsgericht hatte auf Beschwerde des Europaabgeordneten Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei), der Autorin Katharina Nocun und 6.000 weiterer Bürgerinnen und Bürgern das bislang geltende Gesetz für verfassungswidrig erklärt; auch das Gesetz zur „Hasskriminalität“ liegt seither auf Eis.

„Unser Surfverhalten und die Passwörter zu unseren Diensten gewähren Einblick in unsere intimsten Vorlieben und Laster, unsere politische Meinung, unsere Religion und unser Sexualleben,“

warnt Breyer.

„Selbst höchste Amtsträger kann man mit so sensiblen Daten erpressen. Wer Polizei und Geheimdiensten seine Geheimnisse blauäugig anvertraut, kennt nicht die zahlreichen Fälle, in denen Beamte ihre Möglichkeiten zum Ausspionieren ihres privaten Umfelds oder sogar zum Datenverkauf an Kriminelle missbraucht haben. Laut Bundesdatenschutzbeauftragtem hat das Bundeskriminalamt schon seine bisherigen Befugnisse zur Auskundschaftung Unverdächtiger und ihrer Meldung an ausländische Behörden missbraucht. Dass die Behörden nun auch noch unsere Internetnutzung durchleuchten dürfen sollen, ist so unverantwortlich wie einen bissigen Hund völlig von der Leine zu lassen.“

Breyer hält den im Gesetz zur „Hasskriminalität“ vorgesehenen Zugriff auf die Nutzung von Internetdiensten trotz der jetzt geplanten Nachbesserungen für verfassungswidrig. Eine Verfassungsbeschwerde Breyers gegen ein vergleichbares Landesgesetz aus Schleswig-Holstein liegt dem Bundesverfassungsgericht bereits vor. Auch gegen das neue Gesetz zur Bestandsdatenauskunft will Breyer nach Karlsruhe ziehen.

Sebastian Alscher, Bundesvorsitzender der Piratenpartei Deutschland, erklärt:

„Die Bundesregierung hat ein offensichtlich verfassungswidriges Gesetz zur Bestandsdatenauskunft erlassen. Es mussten viele Jahre vergehen, bis das Verfassungsgericht nun die Regierung zur Korrektur zwingt. Dies zeigt erneut, dass die Bundesregierung immer mehr Möglichkeiten schaffen will, um in unsere Privatsphäre vorzudringen. Wir werden beobachten, in wieweit sich hoffentlich der bisherige Kurs ändert oder ob nun lediglich das Nötigste getan wird. Denn bisher scheint das Vorgehen zu sein, die Grenzen unseres Grundgesetzes als Richtlinie zu verstehen, bei der immer wieder versucht wird, den Fuss auf die andere Seite zu setzen!“

Hintergrund:

Internet-Nutzungsdaten (Metadaten) sind: Welche Internetseiten oder Videos wir ansehen, was wir geschrieben haben, wonach wir suchen. Mithilfe der IP-Adresse kann unsere Internetnutzung auch dann zurück verfolgt werden, wenn wir nicht namentlich angemeldet sind.
Internet-Bestandsdaten sind: Name, Adresse, Kontodaten, Geburtsdatum und im Klartext gespeicherte Passwörter zu unseren Online-Konten und Datenspeichern.
Die Gesetze zur „Hasskriminalität“ und „Bestandsdatenauskunft“ sehen vor, dass Polizei, Geheimdienste und viele weitere Behörden diese Daten leichter und in größerem Umfang einsehen können.

Die Koalition will mit ihrem Gesetzentwurf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Mai 2020 umsetzen. Mit dem Urteil erklärte das Gericht Teile der Bestandsdatenauskunft für verfassungswidrig. Das Urteil folgte einer Sammel-Verfassungsbeschwerde gegen den staatlichen Zugriff auf Passwörter und die Identität von Internetnutzerinnen und -nutzern (sogenannte Bestandsdatenauskunft, Az. 1 BvR 1873/13, 1 BvR 2618/13). Diese wurde 2013 von den Bürgerrechtlern Katharina Nocun und Patrick Breyer als Erstbeschwerdeführer neben 6.373 weiteren Bürgerinnen und Bürgern erhoben. Das Bundesverfassungsgericht begründete das Urteil damit, dass die manuelle Bestandsdatenauskunft das informationelle Selbstbestimmungsrecht und das Recht auf die Wahrung des Telekommunikationsgeheimnisses der Inhaber von Telefon- und Internetanschlüssen verletze.