Studie zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk empfiehlt, nicht länger vorzuschreiben, wie lange ausgestrahlte Inhalte online bereitgestellt werden dürfen.
Stellen Sie sich einmal folgende Situation vor. Sie kommen aus wohlverdienten zwei Wochen Urlaub zurück zur Arbeit und fragen Ihre Kollegen was Sie in den letzten Wochen verpasst haben. Ihre Kollegen antworten Ihnen, dass sie Ihnen gerne alle Termine nennen, die in den letzten Wochen stattgefunden haben, inhaltlich dürfen sie Ihnen allerdings nur mitteilen, was in der letzten Woche besprochen wurde, über Besprechungsinhalte die älter als 7 Tage sind, dürfen Sie keine Auskunft erhalten.
Was bei jedem normalen Unternehmen undenkbar ist, nennt sich beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk „Depublikationspflicht“. Irrwitzig dabei, Inhalte Ihres Unternehmens wurden im Auftrag und mit dem Geld Ihres Arbeitgebers ertstellt, Inhalte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wurden in Ihrem Auftrag und mit Ihrem Geld erstellt.
Was in der öffentlichen Debatte oft als Löschzwang bezeichnet wird, geht aber nicht vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk aus, sondern auf eine Klage des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT), unter Berufung auf EU-Recht, zurück. Zwischen EU-Kommission und der Bundesrepublik Deutschland wurde deshalb bis 2007 der Beihilfekompromiss ausgehandelt. Hieraus ging der 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag hervor, worin der Rundfunk als „linearer Informations- und Kommunikationsdienst“ definiert wurde, der „für die Allgemeinheit und zum zeitgleichen Empfang“ bestimmt sei. Aus der Bestimmung des „zeitgleichen“ Empfangs geht die Pflicht hervor Inhalte nicht dauerhaft vorzuhalten, ursprünglich 7 Tage, wobei Ausnahmen zugelassen sind. Was damals bereits kontrovers war, steht heutzutage angesichts der Präsenz von Streaming-Diensten im klaren Widerspruch dazu, dass „der öffentlich-rechtliche Rundfunk in den Mitgliedstaaten unmittelbar mit den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen jeder Gesellschaft sowie mit dem Erfordernis verknüpft ist, den Pluralismus in den Medien zu wahren“, wie es im Vertrag von Amsterdam heißt.
Der öffentlich-rechtlichen Rundfunk kann seiner Verantwortung zur Wahrung des „Pluralismus in den Medien“ nicht nachkommen, wenn er technologisch abgehängt ist. Die Piratenpartei benennt deshalb den freien Zugang zu Wissen und Kultur als einen Grundpfeiler der Gesellschaft. Auch Dr. Jan Christopher Kalbhenn, LL.M., Professor für Öffentliches Recht an der Hochschule des Bundes in Münster hebt die heutige Mediensituation als eine Ursache für einen erheblichen Reformdruck und die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunkts für die Demokratie hervor. In seiner Studie „ARD, ZDF und DLR im Wandel“, welche im Auftrag der Otto-Brenner-Stiftung erstellt wurde, benennt er Probleme und Lösungsansätze.
Im Herbst 2024 soll der Entwurf des Reformstaatsvertrags erscheinen. Es ist zu hoffen, dass einige Vorschläge der Studie übernommen werden. Die Piratenpartei wird sich jedenfalls weiterhin dafür einsetzen, dass Wissen und Kultur dann abrufbar sind, wenn sie gebraucht werden und nicht von einem zufälligen Sendetermin abhängig sind.
Benedikt Heinrich
Quellen:
https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_01_1429
https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_07_543
https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/MEMO_07_150
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A52009XC1027(01)
https://www.urheberrecht.org/law/normen/rstv/RStV-12/text/
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A11997D%2FPRO%2F09
https://wiki.piratenpartei.de/Parteiprogramm
https://www.otto-brenner-stiftung.de/ard-zdf-und-dlr-im-wandel/
Guten Tag,
ich bin Dokumentarfilm-Produzent und mit etlichen Grimme-Preisen ausgezeichnet. Ich verstehe ihre Gedanken, jedoch zeigt sich die Sache im Detail komplizierter. Zum einen gibt es die 7 Tage Regel schon lange nicht mehr und besteht aus min 30Tagen bis 12 Monaten bei TEIL finanzierten Produktionen. Gerade die Öffentlich-Rechtlichen Sendeanstalten zahlen seit langer Zeit nicht mehr die vollständigen Herstellungskosten, sondern nur einen Teil. Sie bestehen zwar darauf, dass im Abspann „im Auftrag von“ oder ihr Copyright steht, jedoch handelt es sich im eigentlichen Sinn um Koproduktionen. Sie müssen sich dies wie bei einem Leasing-Vertrag vorstellen. Sie zahlen nur einen gewissen Anteil des Kaufpreises und erhalten dafür eine gewisse Zeit der Nutzung. Die Filmverbände, u.a.die AG-Dokumentarfilm hat dazu viel veröffentlicht.
Vielen Dank für Ihre Ergänzung! Wie immer ist es bei einem komplexen Thema nicht möglich alle Aspekte vollständig zu beleuchten ohne den Leserahmen zu sprengen und so wurde auch auf diesen Punkt nicht näher eingegangen. Bei Co-Produktionen stellt sich die Sache in der Tat komplizierter dar als bei ausschließlich öffentlich finanzierten Produktionen, noch schwieriger bei Produktionen ohne öffentlichen Anteil. Es ist natürlich klar, dass es teilweise auch vertragliche Einschränkungen gibt, nichtsdestotrotz ist die aktuelle Situation unzufriedenstellend und zu diesem Schluss kommt ja auch die Studie. Ein erster Schritt in die richtige Richtung wäre es jedenfalls alle Produktionen freizugeben, wo keine derartigen Bedenken im Wege stehen, im Kontext von Fernsehproduktionen fallen mir vor allem Nachrichtenbeiträge ein. Wenn die Rahmenbedingungen gesetzt sind, ist es sicherlich notwendig die Finanzierung von künftigen Produktionen zu überdenken.