Seit die Straftaten in Köln an Silvester bekannt geworden sind, ist viel über Lösungen diskutiert worden. Und das, obwohl valide Zahlen noch nicht einmal vorlagen. Aktuell gibt es zwar ca. 600 Anzeigen, aber noch keine rechtskräftigen Verurteilungen. Seltsam wirken auch die ersten Beschreibungen von Männern, die „nordafrikanisch“ aussehen – wie sieht denn ein Nordafrikaner aus? Nichtsdestoweniger gab es unmittelbar politische Forderungen nach einer Strafrechtsverschärfung sowie einen lauten Aufschrei seitens der Feminismus-Community, die beide im Gesamtbild völlig haltlos wirken.

Die einzig richtige Reaktion darauf kam bisher vom Landesvorstand und der Piratenfraktion in Nordrhein-Westfalen, die unmissverständlich den Rücktritt von Innenminister Ralf Jäger fordern. Bereits kurz nach Bekanntwerden der Ereignisse von Silvester hatte Monika Pieper, MdL der Piraten in Nordrhein-Westfalen, auf einen Minibericht des Focus hin Jägers Verbleib im Amt in Frage gestellt, falls sich der Bericht bewahrheiten würde, dass dieser trotz Warnungen keine weiteren Einsatzkräfte mobilisiert habe. Für den morgigen Donnerstag ist eine Sondersitzung des Landtags anberaumt, nachdem Jäger am Montag im Innenausschuss nicht die geringsten Fehler einräumen wollte und stattdessen der Polizei die Schuld gegeben hatte.

Diese Sitzung wird genau zu verfolgen sein, denn gerade hier liegen die politischen Fehler, die dazu führen konnten, dass die Übergriffe in Köln nicht verhindert wurden.

Das Versagen liegt nicht in einer angeblich sexualisierten Gesellschaft. Die These, dass Übergriffe zum „Machtwerkzeug des Patriarchats“ gehören, findet sich leider sogar innerhalb der Piratenpartei. Es gibt jedoch keinerlei Beleg dafür, dass die Ereignisse von Köln ihre Ursachen in einer generell sexistischen Haltung der Gesellschaft haben, selbst wenn man unterstellen würde, dass es diese überhaupt gäbe. In der Berichterstattung wurde vielmehr deutlich, dass die Belästigungen (auch wenn sie als schwerwiegenderes Delikt in den Vordergrund gerückt sind) wohl in erster Linie zur Tarnung dienten, Menschen zu überrumpeln und dann auszurauben. Natürlich macht das den Schock eines sexualisierten Angriffs nicht weniger schlimm. Aber wenn dieser reines Mittel zum Zweck ist, erübrigt sich die Sexismusdebatte.

Auch sollte man an dieser Stelle mit „#eineArmlaenge“ aufräumen: Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker hatte auf einer Pressekonferenz auf die ausdrückliche Frage, wie Frauen sich denn schützen könnten, geantwortet, die Frauen sollten eine Armeslänge Abstand halten. Daraus nun den Vorwurf zu basteln, Reker hätte Frauen die Verantwortung zugeschoben, ist schlicht blanker Unsinn. Hätte Reker gesagt, es sei nicht Aufgabe von Frauen, sich zu schützen, hätte die Internetgemeinde ihr vermutlich vorgeworfen, sie wolle Frauen schutzlos ihren Peinigern ausliefern.

Die Ursachen lagen auch nicht in zu geringen Strafen, wie Heiko „Vorratsdatenspeicherung“ Maas meinte und gleich ein Gesetz ankündigte, mit dem angebliche Lücken im Strafrecht geschlossen werden sollen. Einige Regelungen davon mögen grundsätzlich sinnvoll sein, aber sie gehen zu weit. Nehmen wir die geplante Änderung von § 179 StGB, mit der künftig auch das überrumpelte und daher widerstandsunfähige Opfer geschützt werden soll. Das klingt erstmal sinnvoll, weil Herr Maas dabei an die Opfer in Köln denkt. Juristen sollten aber an die Grenzfälle denken: Was ist, wenn jemand beim Flirten irgendwann die Hand des Gegenübers nimmt? Oder die Hand auf dessen Knie legt? Oder jemanden küsst? Will sagen: Der neue § 179 StGB differenziert nicht zwischen dem aggressiven Räuber auf der Straße und dem Teenager, der vor lauter Aufregung die Signale seines Partners falsch deutet.

Wie BGH-Richter Fischer zudem bereits 2015 betont hatte, liegt das Problem einer Strafrechtsverschärfung darin, dass diese auch ein Stück weit freiheitsraubend ist. Selbstverständlich ist es theoretisch möglich, absolut jede sexuelle Handlung, in die nicht ausdrücklich eingewilligt wurde, unter Strafe zu stellen. Dies ist aber gerade in einem so persönlichen Bereich wie dem Sexualleben problematisch, zumal Menschen in privatem Kreis auch mal uneindeutige Signale an Flirtpartner senden. War die entspechende Reaktion nicht erwünscht, kann sie nach dem neuen Strafrecht zur Strafbarkeit führen. Dass für jegliche Handlung, die man im weitesten Sinne als „sexuell“ betrachten kann, eine ausdrückliche Einwilligung vorliegen müsse, ist lebensfremd und Ausdruck einer Politik, die auch noch die intimsten Lebensbereiche ihrer Bürger kontrollieren will. Jeder Mensch hat das Recht, „Nein“ zu sagen, aber solange das Gegenüber dazu in der Lage ist, muss man in gewissen Situationen auch ein „Nein“ verlangen können.

Und – leider muss man auch das betonen – selbstverständlich liegt das Problem erst recht nicht in der Zuwanderung. Dass sich syrische Flüchtlinge in Köln über Flugblätter sofort von den Ereignissen distanziert hatten, hinderte Politiker quer durch den Bundestag nicht daran, auf den Zug von AfD und Pegida aufzuspringen. Kanzlerin Merkel unterwarf sich dem Populismus ihrer eigenen Partei ebenso wie die LINKE-Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht, die vom „Verwirken des Gastrechtes“ sprach. Man muss es deutlich sagen: Die Flüchtlinge sind nicht als Gäste hier; sie sind als Menschen in Not hier. Wir gewähren ihnen Asyl, weil es eine Frage von Menschlichkeit ist, einen Mitmenschen nicht an einer Grenze hängenzulassen, auf deren anderen Seite er sterben würde. Menschlichkeit kann aber nicht verwirkt werden, auch nicht durch einen Handtaschendiebstahl.

Übrig bleibt also die ganz banale Frage: Warum bekommt in Köln die Polizei Randalierer nicht in den Griff, obwohl ihnen die volle Macht der Staatsgewalt einschließlich Platzverweisen, Festnahmen und ggf. Waffengewalt zur Verfügung steht? Warum kam niemand den Menschen zu Hilfe, als diese belästigt wurden? Die Antwort ist die übliche: zu wenig Polizei. Dabei geht es nur begrenzt darum, dass die Polizei zu wenig Leute in der Kölner Innenstadt hatte, wie sie selbst eingeräumt hat.

Es geht darum, dass die Polizei seit Jahren generell personell nicht ausreichend ausgestattet ist. Es geht darum, dass Politiker seit Jahren versuchen, Polizeibeamte durch Überwachungskameras und Gesetzesverschärfungen zu ersetzen. Aber weder Kameras noch neue Gesetze werden verhindern, dass sich Raubüberfälle wiederholen, denn Kameras steigern eben doch nur die „gefühlte Sicherheit“. Wirklich verhindert werden kann ein Verbrechen nur durch die Anwesenheit von genug Polizisten vor Ort, und Jäger wird Rede und Antwort stehen müssen, warum das in Köln nicht der Fall war. Deswegen sollten wir uns nicht in Strafrechts- und Sexismusdiskussionen vertiefen, sondern vor allem genau hinschauen, was der nordrhein-westfälische Innenminister zu diesem Thema sagt. Diskussionen in andere Richtungen laufen nur darauf hinaus, von einer einfachen Tatsache abzulenken: Mehr Überwachung bringt keine Sicherheit. Deswegen ist Jäger nach den Ereignissen von Köln nicht mehr tragbar.