1964 wurde die „Charta zum Status der Lehrerinnen und Lehrer“ von der UNESCO und der Internationalen Arbeitsorganisation angenommen. Viel wurde und wird zum Status der an Schulen Lehrenden gesagt – was ich als Seiteneinsteigerin und begeisterte Kunstlehrerin dazu sagen möchte: Wir sind zu wenige. Für die Anforderungen an Lehrer und Schule Heute und in Zukunft gibt es viel zu wenige Lehrerinnen und Lehrer. Wir wollen – wo es möglich ist – Inklusion, wir wollen Ethik und Moral vermitteln, wir müssen mit fähigem Personal die wichtigsten Kenntnisse zur Digitalisierung vermitteln. Wir sollten – weil es nicht in allen Elternhäusern getan wird – Kindern und Jugendlichen auch das so nötige Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein vermitteln.
Auch Chancengleichheit muss von einer Worthülse – bei Parteien besonders beliebt – zu echten gleichen Chancen für das Leben und Lernen gewandelt werden. Es reicht nicht, Wissen in Köpfe zu stopfen, wenn die Fähigkeit fehlt, dieses Wissen zu sortieren, zu überprüfen und zu nutzen. Auch die Ausbildung zum Lehrer, Pädagogen und Wissensvermittler muss sich ändern, in weiten Teilen fehlt der Bezug zur Praxis. Am Weltlehrertag 2017 ist es allerhöchste Zeit, über einen der wichtigsten Berufe nachzudenken, um ihn zu erleichtern, zu verbessern und für Lernende wie Lehrende zu einer spannenden und gar nicht langweiligen Aufgabe zu machen.
Beispiele, wie das möglich sein kann, haben wir, über Deutschland verteilt, genug. Ich führe die Schulen an, die ich persönlich kennengelernt habe und deren Konzept, wie auch ihr Erfolg, mich überzeugt haben. Möglich sind solche Schulen wie die Winterhuder Schule in Hamburg oder die Laborschule Bielefeld. Möglich, weil engagierte SchulleiterInnen und ebenso engagierte Lehrende dabei sind – und nicht zuletzt mehr Geld. An beiden Schulen werden bis zur Oberstufe keine Noten geschrieben, es gibt keinen starren Klassenverband. Lehrer und Schüler besprechen gemeinsam, wann was wie und wo gelernt wird.
Die Maßstäbe der Winterhuder Schule
„Abscheu vor und Abwehr von Unmenschlichkeit“
„Wahrnehmung von Glück“
„Fähigkeit und Willen zur Verständigung“
„Bewusstsein von der Geschichtlichkeit der eigenen Existenz“
„Wachheit für letzte Fragen“
„Bereitschaft zu Selbstverantwortung und Verantwortung in der Gesellschaft“
Unsere Schule soll ein Ort des Miteinanders sein, an dem die Vielfalt der Begabungen geschätzt und der Individualität mit Respekt und Achtung begegnet wird. Wir wollen eine Schule für alle Kinder und Jugendlichen sein. Die Schule hält die Mitarbeit der Eltern für wesentlich. An diesem Leitbild wollen sich die an dieser Schule Beschäftigten in ihrer Arbeit orientieren und auch messen lassen. Zugleich geschieht dies eingedenk der Tatsache, dass Erfolg wie Misserfolg der pädagogischen Arbeit zu einem großen Teil von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und den Vorgaben der Bildungspolitik abhängen.
Mit Unterschieden leben: Laborschule Bielefeld
Die Schule will die Unterschiede zwischen den Kindern bewusst bejahen und als Bereicherung verstehen. Daraus ergibt sich eine weitgehende Individualisierung des Unterrichts, die Rücksicht auf das unterschiedliche Lerntempo der Kinder und ihre individuell verschiedenen Bedürfnisse und Fähigkeiten nimmt. LaborschülerInnen leben und lernen gemeinsam in leistungs-, teilweise auch altersheterogenen Gruppen. Die Schule will niemanden aussondern, es gibt auch kein „Sitzenbleiben“ und keine äußere Leistungsdifferenzierung, an deren Stelle die Differenzierung der Angebote tritt.
Was tun?
Mehr Geld in das Bildungswesen zu stecken, kann jeder Lehrer als unbedingt nötig bestätigen. Mehr Geld vom Bund, weil Kommunen und Länder überfordert sind. Viele der Lehrer, die ich kennengelernt habe, plädieren für eine Aufhebung des föderalen Systems in der Bildung, das käme bei jedem Umzug Eltern, Lehrern und vor allem den Schülern entgegen. Noch ein Gedanke zur Bezahlung: Warum sollten Beamte finanziell besser gestellt werden als Angestellte? Ich wünsche uns für die Zukunft, dass wir nicht – mal wieder – einen einzelnen Tag feiern, sondern dass wir ihn nutzen, Veränderungen anzustoßen. Am 5. Oktober 2018, in einem Jahr, sprechen wir uns wieder. Und auch darum bin ich Pirat und habe am Bildungsprogramm der Piratenpartei Deutschland mitgeschrieben:
Aus dem Bildungsprogramm der Piratenpartei
6.1 Präambel
Unsere Vision eines Bildungssystems baut auf einem positiven Menschenbild auf. Jeder Mensch hat das Recht auf freien Zugang zu Information und Bildung. Dies ist in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft notwendig, um allen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft ein größtmögliches Maß an gesellschaftlicher Teilhabe zu ermöglichen. Bildung ist unser wichtigstes Gut für den Erhalt, die Weitergabe und die Vermehrung von Wissen, Fortschritt und gesellschaftlichem Wohlstand. Das Bildungssystem darf nicht auf den Arbeitsmarkt und die ökonomische Verwertbarkeit von Bildung ausgerichtet sein. Unsere Gesellschaft braucht Menschen, die kompetent und kritisch ihr Leben und ihre Aufgaben meistern und sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst sind. –
- Wir setzen uns für eine Aufhebung des Kooperationsverbotes ein
- Um die Durchlässigkeit bei einem Wohnortwechsel, Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten und berufliche Chancen zu erhöhen, sollen Bildungsziele und Bildungsabschlüsse bundesweit einheitlich gestaltet und grundsätzlich gleichwertig sein.
Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll den Kopf zu schütteln. Gut gemeint ist eben nicht gleichzeitig gut gemacht. Im Prinzip widerspricht der Text den Forderungen der Piraten oder das Programm widerspricht sich selbst …?!
Zitat: „in weiten Teilen fehlt der Bezug zur Praxis“
Das stimmt, Schulen in der heutigen Zeit fehlt in der Tat der Bezug zur Praxis. Hierzu müsste man sich nur mal ein Schulkonzept ansehen, wie es in Finnland z.B. verwendet wird. Die Frage nach dem „woher“ (Ursprung des Konzepts) stelle ich erst mal nicht.
Es werden keine Noten geschrieben? Ich bin mir nicht sicher, aber es wundert mich an der Stelle nicht, weshalb so wenige mit Misserfolg umgehen können. Wer keine „Leistungen“ bewertet bekommt wird sich halt immer für einen überdurchschnittlichen Fußballer halten. Und Schüler diskutieren mit den Lehrern aus was sie als nächstes lernen wollen? Also ab der Stelle wundert mich diese Gesellschaft nicht mehr, dass man an keinem Ort mehr an die Pflichten erinnern darf und wohl deswegen die Rechte eines einzelnen immer im Vordergrund stehen.
Am Ende möchte man dann noch das Kooperationsverbot aufheben und für gleiche Chancen sorgen, überall in den Bundesländern. Wie das mit den zuvor geäußerten Wünschen zu schaffen sein soll, wenn die Schüler lieber ihren eigenen Stundenplan diskutieren sollen, das frage ich mich wirklich.
Der Text ist nichts anderes als ein Wunschtraum in maximaler Unkenntnis der vorhandenen Realität. Sorry.
Das gesamte Bildungswesen muss ganz sicher reformiert werden. Der Streit sollte sich jedoch nicht um G8 oder G9 drehen, auch nicht ob Digitales eingesetzt wird oder nicht. Bildung ist, so wie im Wahlprogramm beschrieben, ein Prozess der ein Leben lang andauert. Und so darf man sich auch die Frage stellen, ob eine normale 10 Klassen Schulbildung in der heutigen Zeit überhaupt noch genügt? Es braucht Fach- und Förderschulen auch Inklusion. Unter einem Dach – Ja – aber immer in einer Klasse? Ganz sicher nicht. Es braucht Praxisbezug, nicht nur Theorie. Es braucht praktisches Wissen, umfallen und wieder aufstehen. Es braucht Lehrer die Lehrer sein wollen, nicht Lehrer die Bildung mit einem Trichter verwechseln. Es braucht Lehrer die Verantwortung übernehmen, es braucht aber auch weniger Schüler in einer Klasse.
Bildung ist eben nicht in erster Linie Bildung des einzelnen zum Wohle der Gesellschaft, Bildung ist in erster Linie Bildung für den betreffenden selbst. Nur leider zieht das alles einen gewaltigen Rattenschwanz nach sich, der am Ende eben nicht nur beim Thema Bildung hängen bleibt sondern eine im Grundsatz völlig neue Definition Gesellschaft in sich trägt. Ansonsten ist all das nur Makulatur und Symbolpolitik, Flickwerk auf Kosten aller nachfolgenden Generationen.
Eine großzügige „Familienzusammenführung (natürlich in D.) “ wird unsere Gesellschaft, unsere Schulen, unsere Klassen noch bunter, noch internationaler machen……
Unsere Kinder werden es uns danken…..
MfG
Blanca Spott
„An beiden Schulen werden bis zur Oberstufe keine Noten geschrieben, es gibt keinen starren Klassenverband. Lehrer und Schüler besprechen gemeinsam, wann was wie und wo gelernt wird.“
Gibt es messbare Belege (etwa wissenschaftliche Arbeiten, Lebensläufe von Absolventen dieser beiden Schulen) darüber, dass dieser Ansatz tatsächlich funktioniert? Wie HuWutze habe ich daran erhebliche Zweifel.
Den anderen Thesen des Artikels stimme ich weitgehend zu:
Die Schule ist z.T. praxisfern und ich würde diese Aussage auf Hochschulen und Universitäten ausdehnen.
Das Schulwesen muss dringend reformiert werden. In dem Artikel fehlt u.a. der Hinweis, dass der Schulbetrieb in den Bundesländern vornehmlich durch Verordnungen und Erlasse der obersten Schulbehörde und damit selten an den realen Erfordernissen einer einzelnen Schule VORBEI gesteuert wird. Im Landesschulgesetz von LSA liest man häufig Sätze wie: „Die oberste Schulbehörde wird ermächtigt….“ Mehr Selbstverwaltung für Schulen birgt vermutlich den Keim weiterer Aufstände in sich. Ich kenne ein paar aufmüpfige Lehrer persönlich.
Bildung braucht mehr Geld. Vor allem die FDP, die ja im Wahlkampf damit geworben hat, sich für bessere Bildung eingesetzt hat, muss jetzt liefern, um diesen Zustand abzuschaffen.
http://www.bildungsxperten.net/wissen/deutsche-bildungsfinanzierung-im-internationalen-vergleich/
Wir sind gespannt.
Lehrer? Also diese „morgens haben se recht, mittags haben se frei“ Typen?
Schule nur noch mit Schwafelfächern, notenfrei und alles easy, um eine „Bessere Welt für alle“ zu erreichen? Da bin ich dann doch eher skeptisch.
Wenn ich Allgemeinplätze lese oder gar Sätze mit Erziehungszielen wie „Abscheu vor und Abwehr von Unmenschlichkeit“ dann wird mir übel. Soll das eine Gesinnungsethikschule sein, die Tugendwächter heranzüchtet, die dann z.B. AfD-Wahlkampfstände umwerfen und glauben, das sei eine moralisch hochstehende Heldentat der Menschlichkeit und Tugendhaftigkeit? Hoffentlich nicht.
Schule hat Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie soziales Lernen und Vermittlung unserer Werte zur Aufgabe. In Schulklassen mit bis zu 90% Migrantenkindern aus überwiegend archaisch denkenden und handelnden Elternhäusern ist das eine fast nicht mehr zu stemmende Herkulesaufgabe. So etwas wie diese Laborschule kann nicht funktionieren wenn bereits die Beschulbarkeit der Kinder nicht mehr gegeben ist.
Wir brauchen wieder Schule im ganz klassischen Sinn, also Schule die Lernen für das Leben vermittelt. Das geht los mit dem Respekt vor anderen, z.B. den schon länger hier Lebenden (wie unser Kanzlerin sie bezeichnet), dass man sie nicht ans Schweinfleischfresser, Köterrasse oder Ungläubige verunglimpft, dass man Mädchen ohne Kopftuch oder auch Lehrerinnen nicht als Schlampe, Hure oder Nutte bepöbelt, setzt sich damit fort dass man der Lehrerin Respekt zollt und die Hand gibt zur Begrüßung, auch wenn man sie für unrein und als Nicht-Kopftuchträgerin für minderwertig ansieht, geht weiter mit Respekt vor anderen Religionen, als z.B. dem Judentum, dem Christentum, Buddhisten, Mennoniten, Jesiden oder Agnostikern, und selbstverständlich haben auch die Schüler untereinander Respekt und Kollegialität schrittweise zu erlernen. Nennt sich soziales Lernen.
Dazu kommt dann die Wissensvermittlung, also Lesen, Schreiben und Rechnen, unsere Geschichte und unsere Kultur, lokal, national und europäisch, später dann Fachwissen in den Naturwissenschaften und humanistische Bildung in den Geisteswissenschaften, Kant, Goethe, Schiller, Lessing, aber auch Aristoteles oder Voltaire, um mehr über die Wurzeln unserer Kultur und unseres Lebens zu erfahren.
Wenn das Schule leisten konnte, hat sie schon viel geleistet. Dann kommen Dinge wie „Abscheu vor und Abwehr von Unmenschlichkeit“ (eine grauenhaftes Wording, junge Menschen zu „Abscheu“ zu erziehen geht nämlich GAR NICHT) nicht mehr vor weil die Schüler fähig und in der Lage sind, eigene Werturteile bilden zu können, eigene Wertungen vornehmen zu können und daher unempfindlicher werden für Agitprop, Politpropaganda und Erziehungsideologie, wie sie oben im Artikel leider zu stark vertreten sind.
Nur Talking Points und Buzzwords der „schönen neuen Welt“ (also z.B. Deutschland soll vielfältig, weltoffen und bunt werden, alle Grenzen öffnen, allen helfen wollen, egal wo sie herkommen und wer sie sind, wir schaffen das usw.) herunterrattern zu können ist nämlich keine Bildung.