„Schicksalstag für die SPD“ – so oder ähnlich titelten die Gazetten, als sie über die Entscheidung des SPD-Sonderparteitags über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD schrieben.
Ja, die Entscheidung wird die weitere Entwicklung der SPD beeinflussen. Interessanter für unser Land ist jedoch, was nach einem ‚Ja‘ der SPD zur #GroKo zu erwarten ist und was den Menschen in unserem Land versprochen wird. In dieser Artikelserie gehen wir diesen Fragen auf den Grund.
„Wohlstand für alle heißt heute Bildung für alle.“ sagte Angela Merkel bei ihrer Rede zum 60. Geburtstag der sozialen Marktwirtschaft am 12. Juni 2008, rief die „Bildungsrepublik Deutschland“ aus und erklärte Bildung zu der Zukunftsfrage der nächsten Jahre.
Passiert ist seitdem in drei Regierungenkoalitionen unter Angela Merkel nicht viel in dieser Bildungsrepublik. Der Ausbau der Kindertagesstätten aufgrund des Rechtsanspruchs lief ja schon und wurde weiter betrieben. Es wurden an einigen Universitäten dank der Exzellenz-Initiative besondere Rahmenbedingungen geschaffen. Ansonsten herrschte auf Regierungsebene stilles Desinteresse. Parolen ohne Taten.
Für eine vierte Regierung Merkel haben CDU/CSU und SPD das Thema Bildung wieder einmal als Zukunftsthema verhandelt. Wie sehen die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen aus bildungspolitischer Sicht aus?
„Wir wollen die Bildungschancen in Deutschland im gemeinsamen Schulterschluss von Bund und Ländern verbessern. Dafür wollen wir einen nationalen Bildungsrat einrichten.“
Mit der Einrichtung eines nationalen Bildungsrats will die Koalition der Bedeutung des Themas Bildung gerecht werden, nachdem die letzten drei Regierungen dies vernachlässigten. Hoffentlich wird aus diesem Bildungsrat mehr als ein Feigenblatt. Wie ein solcher nationaler Bildungsrat neben der Kultusministerkonferenz und den einzelnen Ministerien in eine Entscheidungslandschaft eingebunden wird, bleibt genauso nebulös wie die Frage, wer diesen Rat bildet, aus welchen Mitgliedern er bestehen wird und welche Aufgaben er haben wird.
+/-0 für diesen nicht substantiierten Bildungsrat
„Wir werden eine Investitionsoffensive für Schulen in Deutschland auf den Weg bringen. Diese umfasst zusätzlich zum laufenden Schulsanierungsprogramm die Unterstützung der Länder bei ihren Investitionen in die Bildungsinfrastruktur, insbesondere Ganztagsschul- und Betreuungsangebote, Digitalisierung und berufliche Schulen.“
Es ist allerhöchste Zeit für eine angemessene Finanzierung der Bildungslandschaft abseits von Exzellenzinitiativen. Die Ausgaben im Bildungssektor liegen, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, in der Bundesrepublik Deutschland seit Jahren unter dem OECD-Durchschnitt. Zu Recht wird diese Sparsamkeit an der falschen Stelle von der OECD gerügt. Die Piratenpartei fordert daher seit Jahren eine Anhebung mindestens auf den OECD-Durchschnitt.
Die jetzt vereinbarten 10 Milliarden Euro sind, obwohl sie teilweise im Sozialhaushalt verausgabt werden (SGB VIII), ein großer Schritt in die richtige Richtung. Sie bedeuten jedoch für jeden Schüler und Studenten in der kommenden Regierungsperiode nur knapp 15 Euro/Monat. Davon muss neben anderen Dingen die Infrastruktur verbessert und in Teilen erst geschaffen, (mehr) Lehrer ausgebildet und beschäftigt, Ganztagsstrukturen erweitert und teilweise erst geschaffen werden. Diese zusätzliche Finanzierung durch den Bund steht allerdings unter dem Vorbehalt der Grundgesetzänderung.
+0,5 für die zusätzliche Finanzierung durch den Bund
„Dazu werden wir die erforderliche Rechtsgrundlage in Art. 104c GG anpassen.“
Eine langjährige Forderung der Piratenpartei wird nun endlich aufgegriffen:
„Bildung ist nicht nur Ländersache, sondern eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft. Wir setzen uns für eine Aufhebung des Kooperationsverbotes ein. Der Bund muss öffentliche Bildungseinrichtungen finanzieren dürfen.“
Im Koalitionspapier ist vereinbart, dass die Kultushoheit bei den Ländern verbleibt. Das ist vermutlich der Preis dafür, dass die Länder die nötige Grundgesetzänderung mittragen. Nach unserer Auffassung ist das leider nur der halbe Schritt hin zu einer Bildungslandschaft, in der Ländergrenzen keine hohen Hürden für Lehrende und Lernende mehr darstellen.
+1 für die Anpassung des Grundgesetzes
„Das Ausbildungsförderungsgesetz des Bundes (BAföG) wird ausgebaut und die Leistungen werden deutlich verbessert. […] Die Berufliche Bildung werden wir mit einem Berufsbildungspakt modernisieren und stärken.“
Die Stärkung des BAföG und anderer Förderinstrumente begrüßen wir genauso wie eine Modernisierung der beruflichen Bildung. Wir werden die konkrete Ausgestaltung dieser Punkte beobachten.
+0,5 für den Bereich der Förderinstrumente
„Deutschland muss ein Innovationsland bleiben. Deshalb vereinbart der Bund gemeinsam mit den Ländern und der Wirtschaft, bis 2025 mindestens 3,5 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung aufzuwenden.“
Die OECD attestiert der Bundesrepublik Ausgaben in Höhe von knapp 3% (Stand 2015). Hier wird eine leichte Steigerung vereinbart.
+1 für die Finanzierung von Forschung und Entwicklung
„Für strukturschwache Regionen […] werden wir zielgenaue Förderinstrumente entwickeln. […] Die Hightech-Strategie wird weiterentwickelt und auf die großen gesellschaftlichen Herausforderungen fokussiert.“
Inhaltsleer, daher ohne Wertung.
Insgesamt vermissen wir in der Vereinbarung einiges. Wo bleibt die Verbesserung der Lehramtsausbildung insbesondere im Bereich Digital- und Medienkompetenz? Wo bleibt die Einbindung von offenen Bildungsquellen (open educational resources)? Was ist mit der Vergleichbarkeit von Abschlüssen in der hochschulischen und der beruflichen Bildung? Kommt was zur Verbesserung der Master-Studienplatzangebote für Bachelor-Absolventen? Und die Förderung des internationalen Austauschs von Lernenden?
-1 für die fehlenden Vereinbarungen
Fazit
Anscheinend sind die möglichen Koalitionspartner aus ihrem jahrelangen Tiefschlaf erwacht und haben nun endlich den Willen zu einer besser finanzierten Bildungslandschaft. In vielen Punkten bleibt das Ergebnis jedoch unter den Möglichkeiten. Was die Koalitionäre vergessen haben und wie zukunftsorientierte Bildungspolitik neben rein finanziellen Erwägungen aussehen kann, zeigen wir in unserem Programm.
Ich sehe in unserer Gesellschaft keinen Mangel an Informatikern sondern einen Mangel an Ethikern!