Das Klimakabinett beruft sich in seinem Klimaschutzprogramm 2030 auf die Empfehlungen der „Kohlekommission“ vom 26. Januar 2019:
„Die Kommission „Wachstum, Strukturwandel, Beschäftigung“ hat Anfang des Jahres umfangreiche Empfehlungen vorgelegt, wie der schrittweise Ausstieg aus der Kohleverstromung im Einklang mit den Klimazielen sozialverträglich umgesetzt und finanziert werden kann. Die installierte Erzeugungskapazität aus Kohlekraftwerken im Markt soll bis 2030 auf insgesamt 17 GW reduziert werden und bis spätestens 2038 vollständig beendet werden.“
Unsere Forderungen…
… sind deutlich ambitionierter. Sie gehen sogar über das hinaus, was Fridays For Future den Politikern nahelegt.
Noch einmal kurz zusammengefasst lauten sie: Reduktion des CO2-Ausstoßes durch Kohleverstromung um
- 50% bis 01.07.2020
- 75% bis 31.12.2021
- vollständiger Kohleausstieg bis 31.12.2023.
Wie kommen wir zu der Behauptung, dies sei tatsächlich (schnellst)möglich? Wieso halten wir das, was Kohlekommission bzw. Klimakabinett vorschlagen, für eine einzige Farce?
Begründung in Zahlen
Um diese Fragen zu beantworten, hilft ein Blick in die aktuelle Kraftwerksliste der Bundesnetzagentur. Dort sind, Stand März 2019, folgende Erzeugerkapazitäten aufgelistet:
- Braunkohle: 21,2 GW
- Steinkohle: 23,7 GW
- Gaskraftwerke: 29,4 GW
Die Auslastung dieser Kapazitäten betrug 2018:
- Braunkohle: 71%
- Steinkohle: 35%
- Gas: 17%
Das lässt sich aus Daten des Fraunhofer Instituts leicht rückrechnen. Würde man alle Braunkohlekraftwerke sofort abschalten, wären die vorhandenen Gaskapazitäten gerade einmal zu zwei Dritteln ausgelastet.
Braunkohle bis 2038 erhalten? Wir sagen nein.
Insofern ist eine Reduktion der Kohlekapazitäten um 17 GW bis 2030 absolut inakzeptabel. Das läuft im Prinzip nur auf die ohnehin notwendige Abschaltung von Kraftwerken hinaus, die ihre Grenznutzungsdauer bis dahin erreicht haben werden. Man beachte die Nuancen der Formulierung – es ist von Kohlekraftwerken die Rede und gemeint sind damit vornehmlich die (nicht ganz so umweltschädlichen) Steinkohlekraftwerke. Braunkohle sei eben „billiger“ und schaffe jede Menge Arbeitsplätze – das wissen wir doch aus dem alltäglichen Wiederkäuen der Wehklagen der Ministerpräsidenten aus den „Kohleländer“ durch unsere Leitmedien. In Wahrheit geht dies zu Lasten der Umwelt.
Reden wir zunächst über „billige“ Braunkohle:
Laut Zahlen des Umweltbundesamtes belaufen sich die zusätzlichen externalisierten, sprich von uns und nicht von RWE & Co zu tragenden Kosten der Braunkohleverstromung auf ca. 10 ct/kWh. Für die Produzenten ist Braunkohle tatsächlich billig; uns kommt sie teuer zu stehen.
Und reden wir dann über Arbeitsplätze:
- Beschäftigtenanzahl in Braunkohletagebauen und Braunkohlekraftwerken insgesamt ca. 20.800
- verloren gegangene Arbeitsplätze in der deutschen Windkraftbranche, 2017: ca. 25.000
- verloren gegangene Arbeitsplätze in der deutschen Solarbranche, 2010 bis 2016: ca. 100.000
Wenn wir also die kommenden Schicksale der in der Braunkohle Beschäftigten so intensiv beklagen, muss auch die Frage nach den Befindlichkeiten anderer, von der Vernichtung ihrer Arbeitsplätze Betroffener erlaubt sein.
Unser Vorschlag zur Güte: Wer im Zuge des Kohleausstiegs seinen Arbeitsplatz verliert, erhält 100.000 Euro Überbrückungsgeld. Dies ergibt bei 20.800 Menschen etwas mehr als 2 Mrd. Euro. Das sind gerade mal 5% dessen, was das Füllhorn der Kommission „Wachstum, Strukturwandel, Beschäftigung“ (so der ausführliche Name der Kohlekommission) bereit hält.
Warum die Verbrennung von Gas weniger CO2 freisetzt
Bleiben wir bei der Braunkohle. Pro erzeugter Kilowattstunde Strom gibt ein Braunkohlekraftwerk ungefähr 1,2 kg CO2 in die Atmosphäre ab. Selbst ältere Gaskraftwerke kommen mit weniger als 0,5 kg aus.
Der Wirkungsgrad moderner Gas- und Dampf-Kraftwerke (GuD) liegt mit 60% deutlich über dem von Kohlekraftwerken (max. 40%).
Das Ganze in eine griffige Zahl gepackt: Jedes Prozent Braunkohle, das durch Gas ersetzt wird spart 3,8 Mio Tonnen CO2 jährlich. Braunkohle komplett durch Gas ersetzt, würde damit eine Reduktion des deutschen CO2-Ausstoßes von über 75 Mio. Tonnen pro Jahr ergeben. Braunkohle durch Erneuerbare ersetzen ergäbe eine Einsparung um die 120 Mio. Tonnen. Beides muss parallel und, wir bestehen darauf, schnellstmöglich stattfinden.
Würden die Politiker, die sich für ihr „ausgewogenes Klimapaket“ in bewährter GroKo-Manier gerade gegenseitig heftig abfeiern, tatsächlich handeln, könnten wir eine der knapp neun Tonnen der CO2-Emissionen, die pro Kopf auf jedem Deutschen lasten, sehr schnell loszuwerden. Genau deshalb steht der schnelle Kohleausstieg ganz oben auf unserer Liste.
Gas hat Perspektiven…
Erdgas, so werden Kritiker jetzt einwenden, gehört auch zu den fossilen Brennstoffen; noch dazu zu denen, die wir importieren müssen, was allerdings für Erdöl und Steinkohle ebenfalls gilt. Manche schüren gar die Angst vor einer steigenden Abhängigkeit von Russland. Wenn es so weit kommen sollte, dass uns die Russen kein Erdgas mehr verkaufen wollen, haben wir mit Sicherheit ganz andere Probleme.
Das Besondere an Gaskraftwerken besteht darin, dass sie hinsichtlich des Brennstoffes, mit denen sie betrieben werden, absolut nicht wählerisch sind. Kommt das Gas aus Speichern, die durch das Power2Gas-Verfahren aus überschüssigem, mit erneuerbaren Quellen erzeugtem Strom befüllt wurden, laufen sie nahezu CO2-neutral. Dieses Synthesegas, das nebenbei gesagt deutlich sauberer ist als Erdgas, wird zukünftig unser hauptsächlicher Langzeitspeicher für die Stromerzeugung sein. Am Ende kommt es darauf an, Gaskraftwerke ausschließlich mit Synthesegas zu betreiben.
Ein weiterer Vorteil von Gas: Beim näheren Betrachten der Kraftwerksliste fiel uns auf, dass Gaskraftwerke vornehmlich dort existieren, wo sie tatsächlich gebraucht werden (Bayern, BW, Hessen, NRW). Eine höhere Auslastung dieser Kapazitäten würde deshalb auch die Legende entschärfen, dass Windstrom aus dem Norden über fette, (noch zu bauende?) Stromtrassen nach dem Süden transportiert werden muss, um die Stromversorgung in den Zielgebieten zu sichern.
…Kohle nicht
Im Gegensatz zum Gas hat Kohle für die Stromerzeugung keine Zukunft. Dieser prinzipielle Aussage folgen CDU/CSU und SPD im Gegensatz zu AfD und FDP inzwischen. Die GroKo-Parteien definieren die „Zukunft“ im Zusammenhang mit dem Kohleausstieg nur in deutlich zu weit gestecktem Zeitrahmen.
Neben der verheerenden CO2-Bilanz hat Kohle als Energieträger noch einige weitere massive Nachteile, die nur selten in den Medien thematisiert werden. Sie setzen eine ganze Palette weiterer umwelt- und z.T. gesundheitsschädlicher Substanzen frei:
- Feinstaub (ja, auch Kohlekraftwerke spielen eine Rolle, nicht nur Holzheizungen)
- Schwefeldioxid (sauren Regen gibt es immer noch)
- Stickoxide (Dieselmotoren sind nicht die alleinigen Verursacher)
- giftige Schwermetalle, vornehmlich Quecksilber, das das Nervensystem schädigt
- radioaktive Stoffe
Was die „billige“ kolumbianische Steinkohle angeht: ob die etwa 8.000 Tonnen CO2, die ein großer Kohlefrachter mit 100.000 Tonnen Nutzlast auf seinem Weg von Südamerika nach Europa freisetzt, in die deutsche Klimabilanz eingepreist sind? Die Datenlage zu diesem Thema ist eher dürftig.
Dafür werden uns vermeintliche schwerwiegende Hindernisse eines schnellen Kohleausstiegs ständig umso lauter präsentiert. Das ganze Theater verfolgt einzig das Ziel, vornehmlich die Interessen der großen Energiekonzerne zu wahren. Zum Verständnis: Wir PIRATEN haben nichts dagegen, wenn Unternehmen Geld verdienen. Das schließt RWE, Eon, Tennet… ein. Wir weisen allerdings darauf hin, dass wir uns das Festhalten dieser Unternehmen an ihren alten und offensichtlich sehr profitablen Strukturen als Gesellschaft nicht mehr leisten können. Insofern müssen wir als Gesellschaft dagegen aufbegehren und dabei die Politik dazu zwingen, den Unternehmen den Weg zu Strukturen zu ebnen, die immer noch profitabel aber eben auch klimaschonend sind.
Allein für die Fähigkeit der Piraten, Probleme anhand von Fakten objektivierend auf den Punkt zu bringen und Argumentationen anhand von neutralen Quellen zu belegen, sollte sich jeder überlegen, ob man die Piraten nicht nach oben wählt in der deutschen und internationalen Parteienlandschaft. Es ist eine Alleinstellung. Das kann und macht so keine andere Partei in Deutschland.
Können Sie bitte auch transparent machen, was die Gaskraftwerke für den Strompreis bedeuten würden?
Wie ist der parallele Ausstieg aus der Kernrenergie ebenso darstellbar?
Schöner Ansatz. Leider habt Ihr mit den durchschnittlichen Auslastungen gerechnet. Wir müssen aber die Spitzenlast betrachten, wenn die Erneuerbaren gerade mal keinen Strom liefern.
Ich habe mir jetzt mal die letzten drei Jahre mit dem Tool Agorameter angeschaut, da liegt der Spitzenwert für Gas bei ca. 20 GW im Januar 2017. Nach Eurer Argumentation könnte man also etwa noch 9 GW Braunkohle abschalten.
Allerdings liefern die AKWs im Moment konstant ca. 10 GW und die sollen ja auch bald vom Netz.
Man könnte also im Moment lediglich mehr mit Gas und weniger mit Steinkohle regeln. Oder nochmal über den Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg aus der Kernenergie diskutieren, aber das wollen nichtmal die Energiekonzerne.
Für die Zukunft brauchen wir weiterhin mehr Wind, Sonne, Speicher, SmartGrid, Power2X…
Die These, dass die Erneuerbaren GAR KEINEN Strom liefern, ist zunächst erst einmal falsch. Der 25.01.2019 war lt. Agorameter die absolute Delle in diesem Jahr – da lieferte Windkraft ungefähr 1,8 GW, Biomasse (nicht ganz so Bio, wie der Name vermuten lässt) 5,5 GW, Wasserkraft 2 GW. Daneben finden wir in der Kraftwerksliste der BNetzA (Agora trennt dort nicht so genau) noch die Müllverbrennung mit geschätzt 1,5 GW, AKWs mit geschätzt 8 GW, Ölkraftwerke mit 3 GW und eine ganze Reihe kleinerer Posten, die ich mal zu einem GW zusammenziehe. Wir landen erst einmal bei einer Zwischensumme von 22,8 GW. Gas könnte bei 90% Auslastung 26,3 GW (neue Zwischensumme 49,1 GW) bringen. Sagen wir, die Oberbecken der Pumpspeicher waren am Flautentag auch gerade nicht so dolle gefüllt; sie hätten noch zwei von knapp zehn möglichen GW liefern können. (51,1 GW) Die Steinkohle (auch dreckig, aber die sollte nach der Braunkohle verschwinden) wollten wir ja nicht ad hoc abschalten. Sie könnte bei 90% Auslastung 20,9 GW einbringen – macht zusammen 72 GW. Durchschnittlicher Tagesbedarf am 25. Januar 2019=75 GW; hilft hier aber auch nicht weiter, weil Zusammenbrüche von Stromnetzen binnen Sekunden stattfinden. Nehmen wir deshalb lieber die von der BNetzA ausgerufene Maximalleistung von 84 GW an.
Du hast recht – bei konservativer Rechnung (und hier MUSS man konservativ rechnen) hätten wir an diesem Tag Ende Januar eine Lücke von 12 GW gehabt, die durch Import zu decken gewesen wäre oder aber einen Zusammenbruch des Netzes zur Folge gehabt hätte.
Insofern – ja du hast recht, man muss die Minima/Maxima betrachten, um richtig zu planen.
Allerdings sind 12 GW jetzt keine Leistung, die man nicht durch
– schlicht mehr Erneuerbare aber vor allem durch
– Stromspeicher bis Ende 2023 solide bereitstellen könnte,
wenn man denn nicht importieren will.
Wir bleiben dabei – Kohlekraftwerke müssen so schnell wie möglich vom Netz. Braunkohlekraftwerke sofort abzuschalten, ginge tatsächlich nur mit punktuellen Stromimporten. Deutschland würde aber weiterhin mehr Strom ex- als importieren.