An der Grenze zwischen der Türkei und Griechenland/Bulgarien kommt es zu dramatischen Szenen wie schon 2015. Nachdem die türkische Regierung die Grenzen nach Europa für offen erklärt hat und Busse zur Grenze zur Verfügung stellt [1], drängen Flüchtende zu zehntausenden aus der Türkei nach Europa und werden an der Grenze abgewiesen.[2] Sie sind dort in der Kälte zwischen den griechischen/bulgarischen und auf der anderen Seite den türkischen Sicherheitskräften ohne Versorgung in menschenunwürdigen Bedingungen gefangen und immer mehr drängen nach.

Zusätzlich werden Flüchtende an der türkischen Küste auf Schlauchbote gesetzt und durch das zu dieser Jahreszeit kalte und stürmische Meer unter Begleitung türkischer Küstenwachschiffe zu den vorgelagerten griechischen Inseln geschickt. Die auf diesen Inseln festsitzenden Flüchtenden und ihre Bevölkerung sind bereits seit Jahren im Wechselspiel der Streitigkeiten zwischen der Türkei und der EU mit der Situation überfordert und alleine gelassen.[3]

Wie Mikuláš Peksa, Europaabgeordneter der Piratenpartei Tschechien und Vorsitzender der Europäischen Piratenpartei, bereits am 02.03.2020 tweetete [4] – freie Übersetzung:

„Sich auf den türkischen Diktator zu verlassen, ist ein Fehler. Menschen an der Grenze befinden sich in einer kritischen Lage. Wir sollten wenigstens sanitäre Bedingungen schaffen. #Erdogan
Schade, dass wir das Europäische Asylamt nicht rechtzeitig eingerichtet haben.“

 

In der derzeitigen öffentlichen Diskussion und Wahrnehmung stehen nicht die unmittelbaren Gefahren und Notwendigkeiten für die betroffenen Menschen im Vordergrund. Vielmehr wird die tatsächliche Erpressung der EU  durch die Lage an der Grenze thematisiert, ohne dabei zweckdienliche Lösungen zu fordern. Zudem wird das völkerrechtswidrige Handeln der Türkei in Syrien durch Aussagen deutscher Außenpolitiker thematisiert und dabei teilweise faktisch legitimiert, wobei damit von der eigentlichen humanitären Katastrophe abgelenkt wird. Der Punkt ist, dass die EU hier die Verantwortung hat und schnell handeln muss!

Im Vordergrund muss jetzt stehen, die Lage an den Grenzen zu entspannen, die Menschen humanitär und sanitär zu versorgen und Sicherheit zu gewährleisten. Griechenland und Bulgarien können das aus eigener Kraft nicht bewältigen. In dieser Situation müssen alle Länder der EU ihre solidarische Hilfe anbieten, damit Maßnahmen entsprechend der europäischen Grundrechte-Charta umgesetzt werden können. Gleichzeitig ist es notwendig, die destabilisierenden Aktivitäten der hegemonialen türkischen Politik in Syrien, auf dem Balkan und in Libyen zu stoppen und damit die Ursachen von Flucht und Leid zu beenden. Über Jahre hat die Türkei islamistische Terrormilizen in Syrien durch den MIT mit Waffen, Ausbildung, Kämpfern, Rückzugsgebieten und teilweise direktem militärischem Eingreifen unterstützt.[5][6

Erst wenn die Türkei diese Politik beendet, wird es möglich sein, in Absprache mit der syrischen Regierung innerhalb Syriens Sicherheitszonen mit sicheren Flüchtlingslagern als Übergangslösung bis zum Wiederaufbau des Landes einzurichten. Diese Flüchtlingslager können von der EU oder der UN militärisch geschützt werden.

Die Frage hierzu ist, wie man die Türkei wieder als zuverlässigen Partner für eine stabile Region zurückgewinnen kann.

Hierfür ist ein mehrschichtiges Maßnahmenkonzept geeignet. Eine direkte und auch der Gesamtlage angemessene Maßnahme ist z.B. eine europaweite Reisewarnung, mit der der Tourismus in der Türkei kurzfristig zum Erliegen kommen würde. Bereits 2015 hat Russland erfolgreich mit einer Reisewarnung für die Türkei und anderen wirtschaftlichen Sanktionen auf den Abschuss eines russischen Militärflugzeugs durch die Türkei reagiert. Ein konsequente Haltung der EU, d.h. Aussetzung von Zahlungen, wirtschaftliche Sanktionen (insbesondere Exportstop für Rüstungsgütern und Technologien) und die direkte Unterstützung Griechenlands und Bulgariens in dieser Krise, dürfte zum gewünschten Ziel führen.

Seit der letzten sogenannten „Flüchtlingskrise“ hat die EU ab 2015 Zahlungen in Milliardenhöhe für die Geflüchteten in der Türkei geleistet.[7] Allerdings wurden die Zahlungen vereinbarungsgemäß überwiegend nicht an die türkische Regierung, sondern direkt an die vor Ort tätigen und die Leistungen erbringenden Hilfsorganisationen (z.B. roter Halbmond) gezahlt und somit die Geflüchteten direkt unterstützt. Den Forderungen, diese Zahlungen unmittelbar an die türkische Regierung zu leisten, darf nicht entsprochen werden. Die Zahlungen an die Organisationen, die die Hilfe für die Geflüchteten vor Ort in Syrien und der Türkei erbringen, müssen weiter geleistet werden.

Vordringlich sind jetzt gemeinsam mit Griechenland und Bulgarien umgehend Maßnahmen zur Bewältigung der Situation an der Grenze zu ergreifen, bevor es zum Einsatz von Waffen und einer unkontrollierten humanitären Katastrophe kommt. Zum unmittelbaren Schutz der Menschen müssen auf griechischem und bulgarischem Boden  nahe der Grenze Sicherheitszonen mit einer menschenwürdigen Unterbringung mit sanitären Einrichtungen und der Möglichkeit zu medizinischer Erstversorgung eingerichtet werden. Dabei sind alleinstehende Kinder, Frauen aber auch Familien und Kranke bevorzugt zu behandeln. Eine Wiederholung der Situation von 2015 mit all dem Leid, den Gefahren und der Gewalt [8], denen die Flüchtenden auf dem Weg über den Balkan ausgesetzt waren, darf es nicht wieder geben!

Insbesondere in Zeiten einer sich anbahnenden Covid-19 Pandemie, können die Menschen auf ihrem Weg über den Balkan nach Zentraleuropa nicht schutzlos sich selbst überlassen werden. Das ist weder für die Flüchtenden noch für die auf der Route liegenden Länder und den dort lebenden Menschen zumutbar. 

In den griechischen und bulgarischen Sicherheitszonen werden die Geflüchteten nicht nur erstversorgt und registriert, sondern können ihr Menschenrecht auf Asyl ausüben und auf europäischem Boden Anträge stellen. Auf der Flucht getrennte Familien können wieder zusammengeführt werden. Sobald Asylanträgen vom Grundsatz zugestimmt wird, werden die Geflüchteten auf europäische Regionen verteilt, wobei Wünsche nach Aufnahmeverfügbarkeit und Kapazitäten berücksichtigt werden sollen.

Dies ist eine europäische Aufgabe, wobei Europa endlich eine Führungsposition einnehmen muss, die souveränen Rechte und Entscheidungen Griechenlands und Bulgariens für ihre Territorien uneingeschränkt zu achten sind.

Bei Umsetzung des beschriebenen Vorgehens ist davon auszugehen, dass die türkische Regierung einlenken und die Flüchtenden in der Türkei wieder menschenwürdig behandeln wird. Damit würde der derzeitige Fluchtdruck gemindert und der Ansturm auf die griechische und bulgarische Grenze abgebaut.

Ein Beitrag der AG Außen- und Sicherheitspolitik

Quellen/Fußnoten: