Getarnt hinter Jugendschutzinitiativen versucht die deutsche Politik seit nunmehr elf Jahren [1] und bis zum heutigen Tag [2,3] regelmäßig, Regularien für das Internet zu erlassen, um Inhalte stärker zu kontrollieren. Digitalisierungs-Experten der Piratenpartei sehen die Vorstöße kritisch, wie der Bundesvorsitzende Sebastian Alscher und Themenbeauftragte Anja Hirschel (Digitaler Wandel) darlegen. Unter anderem werde zu oft die technische Umsetzbarkeit außer Acht gelassen, Inhalte zu regulieren ohne einen gläsernen Bürger zu schaffen.

Aktuelles Beispiel gefällig? Gerne! Am 30.04.2021 vermeldete das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) auf deren Webseite [2], dass die „Reform des Jugendschutzgesetzes“ in Kraft trete. Diese Reform, so das BMFSFJ weiter, beinhalte auch eine „Verpflichtung zu strukturellen Vorsorgemaßnahmen“. Konkret bedeutet dies nach den Vorstellungen der ehemaligen Familienministerin Franziska Giffey, dass „[f]ür Kinder und Jugendliche relevante Internetdienste“ dazu verpflichtet werden sollen, „angemessene und wirksame strukturelle Vorsorgemaßnahmen zum Schutz der persönlichen Integrität von Kindern und Jugendlichen zu treffen.“ Soweit, so gut. Auch wir PIRATEN sprechen uns in unserem Parteiprogramm [4] „ausdrücklich für sinnvolle und notwendige Gesetze oder Verordnungen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen“ aus. Allerdings sind wir der Meinung, dass ein „wirksamer Jugendschutz […] nachweislich nicht durch Reglementierung und Verbote erreicht werden“ kann. 

Jugendschutz? Ja klar! Aber richtig!

Die PIRATEN fordern daher einen offenen und sachlichen Umgang mit dem Thema „in Form umfangreicher Aufklärung in Schulen und Freizeiteinrichtungen. Ein bereits im Kindesalter gezielt vermitteltes, selbstbestimmtes Verhalten ist der beste Weg, diesen Herausforderungen und Reizen charakterstark zu begegnen.“

Doch eben von genau so einer Verbots-Regulierung – Verzeihung, „Reform“ – ist nun aktuell in den Medien zu lesen. Heise.de berichtet am 24.06.2021 [3], dass die Bundesländer nun „Zwangsfilter in allen Betriebssystemen“ wollen. Übereinstimmenden Medienberichten zufolge [5-8] soll durch diesen Filter zunächst per „Grundeinstellung“ alles geblockt werden, was „pornografische“ oder „Gewaltinhalte“ enthalten könnte. Auch Seiten, die keine „technischen Alterskennzeichen im Sinne des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages“ [6] vorweisen, werden zunächst geblockt, bis der Nutzer „ein höheres Alter nachgewiesen“ [5] hat.

Nicht nur Nutzerinnen und Nutzer laufen Sturm

Wie nicht anders zu erwarten, hagelt es bereits kurz nach Bekanntwerden des Vorhabens von verschiedenen Seiten harsche Kritik. IT-Organisationen beklagen, dass das Konzept „weder inhaltlich umsetzbar“ noch „technisch praktikabel“ sei [7-8]. 

Sebastian Alscher, Bundesvorsitzender der Piratenpartei Deutschland, sieht die Kritik berechtigt:

„Im Prinzip kann man sich diesen Filter, wie ihn die Bundesregierung nennt, so vorstellen: Ich kaufe mir zum Beispiel einen neuen Laptop. Damit ich den aber vernünftig nutzen kann und nicht in weiten Teilen ausgesperrt bleibe, muss ich erst einmal nachweisen, dass ich über 18 Jahre alt bin. Doch wie diese Legitimation genau aussehen soll, darüber ist bisher noch sehr wenig bekannt. Ich sehe das Risiko, dass erneut versucht wird, mit antiquierten analogen Mitteln das ‚Neuland‘ Internet zu regulieren. Diese Herangehensweise konnten wir mittlerweile zu oft beobachten. Und ebenso oft, wie das nach hinten losging.“

Anja Hirschel, Themenbeauftragte der Piratenpartei Deutschland für den Bereich Digitaler Wandel, stimmt ein:

„Der Grundgedanke, dass die Jugend vor Cybermobbing und -grooming oder ähnlichem geschützt werden muss, begrüßen wir PIRATEN selbstverständlich. Allerdings ist es der falsche Ansatz, wenn überzogene Forderungen seitens der Politik mangels technisch praktikabler Möglichkeiten restriktiv umgesetzt werden müssen – und damit der gläserne Nutzer befördert wird.“

Hirschel betont weiter, dass Interessenvertreter aus der Zivilgesellschaft in effektive Planungen eingebunden werden müssen:

„Warum setzt sich die Politik nicht mit entsprechenden NGOs zusammen? Dann könnte an wirksamen Konzepten gearbeitet werden, welche der Jugend selbst das Wissen und die Werkzeuge zur Verfügung stellen, um sich vor den Gefahren im Netz zu schützen. Kombiniert mit leicht erreichbaren Hilfsangeboten könnte so ein funktionierendes Gesamtpaket erstellt werden, ganz ohne missbrauchsanfällige Filtermechanismen.“

Fazit: Es muss nicht immer die Keule geschwungen werden, es gibt auch elegantere Alternativen, mit denen man Jugendschutz umsetzen kann.

 

Quellen:

[1] www.heise.de/ct/artikel/Zurueck-auf-Los-1156954.html

[2] www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/reform-des-jugendschutzgesetzes-tritt-in-kraft-161184

[3] www.heise.de/news/Laender-wollen-Filter-in-allen-Betriebssystemen-Verbaende-laufen-Sturm-6116452.html

[4] wiki.piratenpartei.de/Parteiprogramm#Jugendschutz

[5] winfuture.de/news,123685.html

[6] www.computerbild.de/artikel/cb-News-Internet-Jugendschutz-Verbaende-kritisieren-Zwangsfilter-30406405.html

[7] www.t-online.de/digital/id_90309842/betriebssystem-kommt-der-zwangsfilter-fuer-erotikseiten-.html

[8] www.giga.de/news/pornofilter-geplant-was-die-bundeslaender-vorhaben-veraendert-das-internet-fuer-immer/