Am 20. Januar hat das EU-Parlament seinen Standpunkt zum Digitale-Dienste-Gesetz (DSA) formell angenommen. Das Parlament verabschiedete eine Formulierung zum Schutz der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und ergänzte zuletzt noch ein Recht, digitale Dienste anonym zu nutzen und zu bezahlen, wo immer dies möglich ist. Dennoch haben die Europaabgeordneten der Piratenpartei beschlossen, den Gesamtbericht abzulehnen. Das wahllose Sammeln der Handynummern aller Uploader:innen auf Erwachsenenplattformen untergräbt das Recht auf Anonymität und gefährdet die Sicherheit und das Leben von Sexarbeiter:innen in der Europäischen Union – eine rote Linie für die Europaabgeordneten der Piratenpartei.
Mit dem Änderungsantrag 291a)[1] will das Parlament Nutzer:innen dazu verpflichten, ihre Handynummer an Pornoplattformen weiterzugeben, bevor sie Inhalte hochladen oder Kommentare posten dürfen. Diese Bestimmung verstößt gegen die Grundrechte auf Privatsphäre und Datenschutz. In einem Brief an die Gesetzgeber betonte die EU Sex Workers‘ Rights Alliance (ESWA), dass „aufgrund der Stigmatisierung und Kriminalisierung der Produzenten von sexuellen Inhalten für Erwachsene und anderer Arten von Sexarbeit die Sicherheit ihrer Daten von größter Bedeutung ist“. Datenlecks würden „eine direkte Bedrohung für die Sicherheit und das Wohlergehen von Sexarbeitern im realen Leben (offline) darstellen“[2].
Obwohl die Abgeordneten der PIRATEN-Delegation die ehrenwerten Absichten des Änderungsantrags anerkennen, werden sie keinen Vorschlag unterstützen, der die Sicherheit einer bereits stigmatisierten Personengruppe bedroht. Ebenso wenig können sie es unterstützen, einen Präzedenzfall für die Abschaffung anonymer Veröffentlichungen im Netz mit der Begründung der ‚Abschreckung‘ zu schaffen. Daher hat die PIRATEN-Delegation gegen die aktuelle Fassung des DSA gestimmt.
PIRATEN setzten sich erfolgreich für digitale Rechte ein
In anderen Punkten haben die Abgeordneten der Piratenpartei im Europäischen Parlament wichtige Beiträge zur Verbesserung der Privatsphäre der Nutzer:innen geleistet. Erstmals können sich Nutzer:innen generell gegen die allgegenwärtige Online-Überwachung und die Erstellung von Persönlichkeitsprofilen zu kommerziellen Zwecken in ihren Apps entscheiden, was sie auch vor den ständigen zeitraubenden Einwilligungsbannern bewahrt. Die Einwilligung zu verweigern dürfte künftig nicht komplizierter sein als die Einwilligung zu geben. Online-Plattformen müssten auch denjenigen Nutzer:innen faire Zugriffsmöglichkeiten anbieten, die es ablehnen, umfassend verfolgt zu werden. Darüber hinaus sollen sicher verschlüsselte Dienste vor Eingriffen durch EU-Mitgliedstaaten geschützt werden. Nationale Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung oder Identifizierungspflichten sollen ausgeschlossen werden. Wie von Abgeordneten und dem LIBE-Ausschuss vorgeschlagen, werden Plattformbedingungen, die nicht mit der Meinungsfreiheit, der Medienfreiheit oder anderen Grundrechten übereinstimmen, nichtig sein. Und in einem wichtigen Sieg in letzter Minute will das Parlament nun, dass die Nutzer digitale Dienste anonym nutzen und bezahlen können, wo immer dies möglich ist.
Dr. Patrick Breyer, Abgeordneter der Piratenpartei im Europäischen Parlament, Berichterstatter für das Digitale-Dienste-Gesetz des LIBE Ausschusses und digitaler Freiheitskämpfer, kommentiert:
„Die Unterstützung des Parlaments für das Recht, digitale Dienste anonym zu nutzen und zu bezahlen, ist ein großer Sieg für den Schutz unserer Privatsphäre und Sicherheit im Internet. Allein im letzten Jahr sind über 500 Millionen Handynummern von Facebook/Meta geleakt worden. Wir können nicht hinnehmen, dass jedes Jahr durch Datenlecks persönliche Informationen von Millionen von EU-Bürgern in die Hände von Cyberkriminellen gelangen.
In den bevorstehenden Trilog-Verhandlungen werden wir unsere Erfolge beim Schutz unserer Privatsphäre und der freien Meinungsäußerung im Internet vehement gegen Überwachungs- und Industrieinteressen verteidigen müssen, etwa den Ausschluss von Upload-Filter-Pflichten, den Schutz von Verschlüsselung und das Verbot nationaler Identifizierungspflichten und Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung.
Viele der Empfehlungen des LIBE-Ausschusses wurden jedoch nicht angenommen [3], so dass „illiberale“ EU-Regierungen in der Lage sein werden, ohne Richterbeschluss unsere Online-Aktivitäten auszuspionieren und Inhalte zu zensieren, auch solche, die in liberalen Demokratien im Ausland gehostet werden. Das Parlament versäumt es, das monopolistische und überwachungskapitalistische Geschäftsmodell der großen Technologiekonzerne grundlegend anzugehen. So werden wir weiter den Gefahren von Dreck schleudernden Timeline-Algorithmen und willkürlicher Konzernzensur ausgesetzt, auch durch fehleranfällige Upload-Filteralgorithmen und KI.“
Als nächstes muss das Europäische Parlament eine Einigung mit den weniger fortschrittlichen EU-Mitgliedstaaten aushandeln, die von der französischen Regierung angeführt werden. Die Trilog-Verhandlungen werden hinter verschlossenen Türen stattfinden. Der Europaabgeordnete der Piratenpartei Patrick Breyer wird im Namen des LIBE-Ausschusses daran teilnehmen.
Einige Einblicke in den Inhalt des DSA-Mandats:
Uploadfilter
Das Parlament hat aus den Protesten gegen Artikel 13/17 der Richtlinie zum Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt gelernt und schließt neue Filterpflichten im Gesetz über digitale Dienste aus. Das Versprechen, den „freiwilligen“ Einsatz von fehleranfälligen Filtern durch Internetplattformen zu verbieten, wird jedoch nicht eingehalten. In der Praxis wird sich also nichts ändern.
Digitale Privatsphäre und Datensicherheit
Staatliche Behörden können künftig ohne richterlichen Beschluss umfassende Aufzeichnungen über die Online-Aktivitäten einer Person anfordern. Andererseits soll das Recht auf eine sichere Verschlüsselung gewährleistet werden. Und die Anbieter von Diensten könnten nicht durch nationale Rechtsvorschriften verpflichtet werden, personenbezogene Nutzerdaten generell und wahllos auf Vorrat zu speichern.
Das neu eingeführte Recht auf anonyme Nutzung digitaler Dienste soll lauten: „Anbieter bemühen sich unbeschadet der Verordnung (EU) 2016/679 und der Richtlinie 2002/58/EG in zumutbarem Maße darum, die Nutzung und Vergütung der Dienste zu ermöglichen, ohne personenbezogene Daten des Nutzers zu erheben.“ In einem Erwägungsgrund wird erläutert: „Im Einklang mit dem Grundsatz der Datensparsamkeit und zur Verhinderung der unbefugten Weitergabe, des Identitätsdiebstahls und anderer Formen der missbräuchlichen Nutzung personenbezogener Daten sollten Nutzer das Recht haben, Dienste anonym in Anspruch zu nehmen und zu vergüten, sofern dies mit vertretbarem Aufwand möglich ist. Dies sollte unbeschadet der im Unionsrecht festgelegten Pflichten zum Schutz personenbezogener Daten gelten. Anbieter können eine anonyme Nutzung ihrer Dienste ermöglichen, indem sie davon absehen, personenbezogene Daten zu den Nutzern und ihren Online-Aktivitäten zu erheben, und indem sie die Nutzer nicht daran hindern, anonymisierende Netzwerke für den Zugang zu dem Dienst zu nutzen. Anonyme Zahlungen können zum Beispiel in bar, unter Verwendung bar gezahlter Gutscheine oder über Prepaid-Instrumente erfolgen.“
Überwachungswerbung
Die systematische Überwachung und Erstellung von Persönlichkeitsprofilen von Internetnutzern zu Werbezwecken soll nicht verboten werden. Allerdings könnten Nutzer Tracking erstmals generell im Browser bzw. in der App ablehnen („do not track“) und würden dann auch von lästigen Zustimmungsbannern verschont bleiben. Die Einwilligung zu verweigern müsste genauso einfach möglich sein wie die Erteilung der Zustimmung (Verbot von „Dark Patterns“). Nutzer:innen, die nicht getrackt werden möchten, dürften nicht vom Zugang ausgeschlossen werden. Alternative Zugangsmöglichkeiten müssten sowohl für regelmäßige als auch für einmalige Nutzer:innen fair und vernünftig sein, z. B. Zugänge, die mit tracking-freier Werbung finanziert werden. Die gezielte Ansprache von Personen aufgrund ihrer politischen Meinung, ihres Gesundheitszustands, ihrer sexuellen Vorlieben oder ihrer religiösen Überzeugung soll verboten werden.
Informationsfreiheit und Zensur
Regierungen und Behörden könnten die Entfernung von Internetveröffentlichungen ohne Gerichtsbeschluss anordnen. Löschanordnungen aus dem Ausland sollen möglich sein, selbst wenn ein Inhalt im Land der Veröffentlichung völlig legal ist. Das bedeutet, dass Orban in Zukunft auf der Grundlage seiner eigenen Gesetze Inhalte in der gesamten EU löschen lassen kann.
Das versprochene Verbot von Netzsperren („löschen statt sperren“) ist nicht Bestandteil des Standpunkts. Internetplattformen müssen die Nutzer auch nicht fragen, bevor sie deren Inhalte entfernen. Die automatische Sperrung von Nutzern, die angeblich wiederholt gegen das Urheberrecht oder andere Gesetze verstoßen haben, wird nach dem Willen des Parlaments zumindest nicht vorgeschrieben.
Timeline-Algorithmen und Nutzer-Wahlrechte
Internetkonzerne dürfen weiterhin selbst entscheiden, was in den Timelines der Nutzer erscheint und was nicht. Die Nutzer:innen erhalten nicht das Recht, sich gegen die kommerziellen Empfehlungsalgorithmen zu entscheiden oder externe Algorithmen ihrer Wahl zu verwenden.
Quellen:
[1] www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-9-2021-0356_DE.pdf
[2] www.patrick-breyer.de/wp-content/uploads/2022/01/20211112_Sex_Workers_Alliance_MEP_Letter.pdf
[3] Umsetzung der Empfehlungen des LIBE-Ausschusses (grün: umgesetzt, rot: nicht umgesetzt): www.patrick-breyer.de/wp-content/uploads/2022/01/2022_01_LIBE-DSA-colour-coding-final.pdf