Prognose zum erwarteten Urteil des Bundesverfassungsgericht zum Wahlrecht

Am Dienstag um 10:00 Uhr wird das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zur Wahlrechtsänderung der Ampelkoalition verkünden (1). Es wird erwartet, dass dieses Urteil Wahlrechtsgeschichte schreiben könnte. Eine besondere Verfassungsbeschwerde von „Mehr Demokratie“ wird ebenfalls berücksichtigt, in der zusammen mit 4.242 Bürgern die Forderung erhoben wird: „Runter mit der 5%-Hürde!“

Was könnte entscheidend für das Urteil sein? Folgende Argumente haben dabei Gewicht: Die Sperrklausel wurde vom Parlamentarischen Rat ausdrücklich abgelehnt. Im Grundgesetz und in der Geschäftsordnung des Bundestages gibt es bereits ausreichende Vorkehrungen gegen handlungsunfähige Parlamente. Zudem erweist sich der historische Verweis auf die Weimarer Republik als irreführend; es ist mittlerweile nachgewiesen, dass die Weimarer Republik mit einer Sperrklausel noch instabiler geworden wäre.

Das Parteiensystem hat sich in den letzten vierzig Jahren erheblich verändert und diversifiziert. Heute haben wir mindestens ein Fünf-Parteien-System ohne absolute Mehrheiten, was uns vor neue Herausforderungen stellt – wir müssen lernen, wie Dreier- oder Vierer-Koalitionen oder sogar Minderheitsregierungen funktionieren. Unsere Nachbarländer sind in dieser Hinsicht bereits weiter fortgeschritten.

Die weit verbreitete Annahme, dass eine fehlende oder niedrigere Hürde zu einer Zersplitterung des Parlaments führen würde, ist nach 50 Jahren politischer Entwicklung überholt; die Zersplitterung hat bereits andere Ursachen. In diesem Kontext war die Abschaffung der Grundmandatsklausel, die bisher die strenge 5%-Hürde abmilderte, faktisch eine Verschärfung durch die Ampelkoalition.

Es ist wichtig zu betonen, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Wahlrechts relativ frei ist – sowohl jetzt als auch in der Vergangenheit. Das Bundesverfassungsgericht behält sich jedoch das Recht vor, seine bisherige Rechtsprechung unter neuen Umständen zu ändern. Der signifikante Anstieg an Wählerstimmen, die aufgrund des Scheiterns ihrer bevorzugten Parteien an der 5%-Hürde unwirksam werden, erfordert eine Neubewertung: Bei der Landtagswahl im Saarland 2022 waren bis zu 20% aller abgegebenen Stimmen betroffen.

Der fünfte Wahlrechtsgrundsatz könnte somit wieder angemessen berücksichtigt werden, und Millionen Stimmen würden wieder Gewicht erhalten. Zwei Lösungsansätze stehen zur Diskussion: Die Einführung einer neuen Ersatzstimme für Wähler, deren Partei nicht über die Hürde kommt, oder eine Senkung der Hürde selbst – beispielsweise auf 3%. Dies würde auch den weiteren Klagen von CSU und Linken weitgehend Rechnung tragen.

Meine Prognose lautet daher: Die Hürde wird gesenkt und Wahlen werden dadurch demokratischer – was uns Piraten erfreuen würde.

Quelle: [1] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Termine/DE/2024/Urteilsverk%C3%BCndung%20Bundeswahlgesetz_2023.html