Das Europäische Parlament debattierte heute einen Gesetzentwurf der EU-Kommission, der die verdachtslose Durchleuchtung sämtlicher privater elektronischer Kommunikation per Messenger oder E-Mail zur Suche nach möglichen kinderpornografischen Inhalten zulassen soll. Kommissarin Johannson argumentierte im Europäischen Parlament, die zum Urheberrechtsschutz 2019 eingeführten Uploadfilter müssten erst recht zum Schutz von Kindern eingesetzt werden. Im nächsten Jahr solle die Nachrichtendurchsuchung für alle Anbieter verpflichtend werden, kündigte sie an.
Kommission greift Vertraulichkeit der privaten Kommunikation im Netz an
Konkret soll es internationalen Anbietern von E-Mail- und Messengerdiensten gestattet werden, den Inhalt privater Nachrichten verdachtslos nach Kinder- und Jugendpornografie sowie der “Anbahnung sexueller Kontakte” Minderjähriger zu durchsuchen und an Behörden und Nichtregierungsorganisationen weltweit zu melden. Gesucht werden darf nicht nur nach bekannten Bildern und Videos, es soll auch mithilfe von fehleranfälliger “künstlicher Intelligenz” etwa zur automatisierten Durchsuchung von Textnachrichten auf “Anbahnungsversuche” gegen Kindesmissbrauch im Netz vorgegangen werden. Meldet ein Algorithmus einen Verdachtsfall, dürfen Nachrichteninhalt und Kundendaten automatisiert und ohne menschliche Prüfung an Strafverfolger weitergeleitet werden, ohne dass die Betroffenen von der Prüfung erfahren.
Der Europaabgeordnete Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei) prangert den Vorstoß als kontraproduktiv und schädlich an:
“Der geplante Privatnachrichtenscanner der EU-Kommission ist kontraproduktiv, unverhältnismäßig und bedroht unsere Sicherheit und Privatsphäre im Netz, auf die Kinder besonders angewiesen sind. Vertraulichkeit und Verschlüsselung schützen Minderjährige beispielsweise davor, dass private, untereinander ausgetauschte Aufnahmen von Pädophilen abgefangen und missbraucht werden.
Die Kommission versteht nicht, dass durch das Durchleuchtungsvorhaben Kriminelle verstärkt in abhörsichere Kommunikationskanäle gedrängt werden, was die Verfolgung von Kindesmissbrauch teilweise sogar unmöglich machen wird. Bestehen bleiben die wahren Versäumnisse der Politik beim Schutz von Kindern, etwa in den Bereichen mangelnde Vorbeugung und Erkennung von Kindesmissbrauch, unzureichende Finanzierung von Therapieangeboten oder völlig überlastete Kriminaltechniker.
Längst ist das Internet unverzichtbar zum Austausch von Informationen in sämtlichen Lebensbereichen. Der Weg von der Zensur krimineller Inhalte zur Zensur unliebsamer Inhalte ist nicht weit. Wir dürfen nicht zulassen, dass bei IT-Konzernen digitale schwarze Kammern eingerichtet werden!
Da fehleranfällige und undurchsichtige KI-Textfilter zum Einsatz kommen sollen, drohen massenhafte Falschverdächtigungen und ein tausendfaches Mitlesen privater Nachrichten durch internationale Konzerne. Die Sicherheit unserer Kommunikationsinfrastruktur vor Kriminellen und Geheimdiensten braucht wirksame Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und keine Hintertüren!“
Widerspruch zum geplanten Schutz der Vertraulichkeit von Internetkommunikation
Nach der im Jahre 2018 beschlossenen europäischen Kommunikationsreform, dem Europäischen Code für elektronische Kommunikation, fallen zum Jahresende auch Messenger- und E-Mail-Dienste (z.B. Facebook Messenger, GMail) unter das Telekommunikationsgeheimnis. Die EU-Kommission möchte nun noch vor Inkrafttreten dieser EU-Regeln im Eilverfahren eine Ausnahme zur Durchleuchtung privater Kommunikation durchsetzen.
Schon 2011 wurde eine EU-Richtlinie zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie verabschiedet , die Maßnahmen für das Vorgehen gegen Kindesmissbrauch und die Aufarbeitung bestehender Fälle vorschlägt. Die Umsetzung dieser Richtlinie liegt bei den EU-Mitgliedsstaaten, doch sie steht auch nach 9 Jahren in den meisten Ländern noch aus.
Weitere Informationen und alternative Ansätze zum wirksamen Vorgehen gegen Kindesmissbrauch: https://www.patrick-breyer.de/?p=593057