Eine neue Studie über aktuelle Praktiken der biometrischen Massenüberwachung in der Europäischen Union (z.B. Gesichtsüberwachung oder Verhaltensanalyse im öffentlichen Raum) zeigt die zunehmende Erprobung und Anwendung dieser Technologien in Europa [1]. Eine interaktive Karte veranschaulicht diese Entwicklung [2]. Der von der Europafraktion Grüne/Europäische Freie Allianz in Auftrag gegebene Bericht zeigt zahlreiche Warnungen und Untersagungen von Datenschutzbehörden auf, die aber durch Regierungsbehörden immer wieder ignoriert oder angefochten wurden. 

Die Technologien biometrischen Massenüberwachung sind nicht nur oftmals pseudowissenschaftlich, sondern verletzen auch die Privatsphäre des Einzelnen. Medien und Zivilgesellschaft sollten ihre fortschreitende Entwicklung aufmerksamer verfolgen. Das forderten bei der heutigen Präsentation der Studie der Autor des Berichts, Dr. Francesco Ragazzi von der Universität Leiden, sowie die Europaabgeordneten Dr. Patrick Breyer und Saskia Bricmont. Fehleranfällige Technologien zur Gesichtsüberwachung, Gesichtserkennung und Verhaltensanalyse bedrohen ernsthaft Grund- und Freiheitsrechte.

Patrick Breyer, Europaabgeordneter der Piratenpartei Deutschland und Koordinator der Kampagne von Grünen/EFA für ein Verbot biometrischer Massenüberwachung, kommentiert: 

„Dieser Bericht ist ein weiterer Beleg dafür, dass George Orwells dystopischer Blick in die Zukunft bald von der Realität überholt werden könnte. Der Bericht enthüllt nicht nur die Erprobung und Einführung biometrischer Massenüberwachungstechnologien in der EU, sondern zeigt auch die Unwirksamkeit vieler dieser Technologien zur Strafverfolgung. Projekte erreichen vielfach ihre Ziele nicht, weisen hohe Falsch-Positiv-Raten auf, melden Bürger zu Unrecht und markieren sogar Umarmungen fälschlicherweise als verdächtiges Verhalten. Die EU muss ihre Finanzierung der Entwicklung solch gefährlicher Überwachungstechnologien sofort einstellen.“

Sebastian Alscher, Vorsitzender der Piratenpartei Deutschland, kommentiert: 

Der Einsatz biometrischer Massenüberwachungstechnologien wird unsere Welt zu einem Panopticon verändern, also einem System allgegenwärtiger permanenter Überwachung mit geringstem personellen Aufwand. Es ist unbestritten, dass das Gefühl beständiger Überwachung zu einer Veränderung menschlichen Verhaltens führt. Wer in so einer Welt lebt und aufwächst, der übernimmt die Zwangsmittel der Macht und spielt sie gegen sich selber aus. Er wird sich nur noch entlang der gesellschaftlichen Erwartung verhalten. Das bedeutet das schleichende Ende jeden Antriebs zu freiem, unkonventionellem, auch mal exzentrischem Verhalten. Hin zum Ende der subjektiven Freiheit. Also genau dem, was unsere Gesellschaft auszeichnet und bereichert und ein Verbot des Einsatzes dieser Technologien im öffentlichen Raum erfordert.

Die Ergebnisse der Studie werden in einem Webinar am 25. Oktober von 16:00 bis 17:00 Uhr MEZ zusammen mit einer interaktiven Karte über die derzeitigen Praktiken der biometrischen Massenüberwachung in der Europäischen Union diskutiert [3]. Nach Präsentation der wichtigsten Ergebnisse und Empfehlungen der Studie werden sich die Experten auf zwei Fallstudien über den Einsatz biometrischer Massenüberwachungstechnologien in der EU konzentrieren: das Experiment am belgischen Flughafen Zaventem und die biometrischen Überwachungstests der Bundespolizei am Bahnhof Berlin Südkreuz. 

Das Europäische Parlament berät derzeit darüber, ob das geplante KI-Gesetz biometrische Massenüberwachung EU-weit verbieten sollte. Eine kürzlich verabschiedete, nicht bindende Resolution sprach sich für ein Verbot aus, doch die EU-Regierungen lehnen dies strikt ab. Die europäische Bürgerinitiative „Reclaim Your Face“ will 1 Mio. Unterschriften sammeln, um gegen biometrische Massenüberwachung zu protestieren [4].

Quellen:

[1] Link zur Studie: extranet.greens-efa.eu/public/media/file/1/7297 

[2] Link zur interaktiven Karte: www.greens-efa.eu/biometricsurveillance/

[3] Registrierung zur Teilnahme an dem Webinar: www.patrick-breyer.de/event/current-practices-of-biometric-mass-surveillance-in-the-eu-study-presentation/

[4] Europäische BürgerInneninitiative ‘Reclaim Your Face’: reclaimyourface.eu/de